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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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das?«
    »Überraschung.«
    »Iberaschung …« Dann wendet sie sich an mich und sagt auf Tschechisch: »Was ist ›Iberaschung‹?«
    Ich ziehe mein Gesicht in die Länge und antworte, ebenfalls in meiner Muttersprache: »Einladung … vielleicht.«
    Mama dreht sich erneut zu Frau Schmidt.
    »Warum Iberaschigung? In Hause zu dir? Keine Zeit: Weihnachte. Wir … Weinacht hier in diese Zimmer.«
    Frau Schmidt unterbricht Mutters abstruses Geschwätz, sie ahnt, dass wir völlig aneinander vorbeireden, sie kennt sich aus, die Gute, und verhindert, dass dieses Gespräch möglicherweise in einen unnötigen Streit ausartet.
    »Nun bitte, nehmen Sie schon den Brief.«
    »Viele Dank, Frau Schmidt. Das ist sehr gut. Wir freuen uns viele. Viele Dank«, antworte ich höflich, bemüht, die peinliche Situation zu retten.
    »Frau Schmidt, wir haben keine Brief oder Iberaschingange für Sie, entschuldigen.«
    Frau Schmidt lacht kurz auf und schaut Mama liebevoll an.
    »Nein, nein, Nadja, was fällt Ihnen ein, Sie müssen mir gar nichts schenken. Außerdem ist der Brief nicht … aber was rede ich überhaupt. Haben Sie einen schönen Heiligen Abend, wünschen Sie mir auch einen schönen Heiligen Abend, und damit hat sich die Sache erledigt. Auf Wiedersehen.«
    »Scheene Heilige Abend«, sagen wir gleichzeitig, wie auf Befehl.
    Das Ganze ist merkwürdig, wir verstehen nichts. Frau Schmidt lacht nur, winkt mit ihrem dicken Arm und geht.
    Ich lege den roten Umschlag unter den Baum zu den anderen Geschenken und vergesse ihn. Wen interessiert auch eine Weihnachtspostkarte von Frau Schmidt.
    Es dauert eine Weile, bis es zur Bescherung kommt, da noch unzählige Personen vorbeischauen, die Salz, Eier oder Mehl brauchen, sowie die Einsamen, die aufgenommen werden müssen, weil sie uns doch irgendwie leidtun. Zbynëk schicken wir, obwohl er Tränen in den Augen hat, rigoros zurück in sein Zimmer, mit der Begründung, dass es uns zwar enorm leidtut, aber dieser Abend gehöre nur uns und niemandem sonst. Zbynëk ist zu betrunken. Er randaliert gerne, und man wird ihn nie los.
    Mama schenkt mir ein rotes Strickkleid, das ich gleich anprobiere. Erstaunlich, dass sie es diesmal geschafft hat, meinen Geschmack zu treffen. Das Kleid kratzt zwar, sieht aber sehr modern aus, daher werde ich es aushalten müssen. Für die Mode bin ich zu allem bereit. Bequeme Kleidung hebe ich mir für die Rente auf.
    Ich habe Mama auch ein Kleid geschenkt. Kurios. Auch sie zieht es an, es passt ihr aber nicht, es ist zu groß. Es ärgert mich, ich wünschte mir, dass sie es ebenfalls anzieht wie ich und allen zeigt, wie gut es ihr steht und welch tollen Geschmack ihre Tochter hat. Nein, sie schwimmt geradezu darin, ich werde es bei C&A umtauschen müssen, und falls sie es nicht mehr in ihrer Größe haben, bin ich echt aufgeschmissen.
    Glücklicherweise wartet auf sie noch der silberfarbene Lidschatten, damit kann ich nichts falsch machen, und so geht meine Mama an diesem Abend nicht ganz leer aus. Opa hat eine Postkarte geschickt, der Inhalt ist unglaublich fad, er hat nichts mitzuteilen, wahrscheinlich ist ihm alles egal, da er niemanden mehr um sich hat. Der Lebensantrieb ist dahin. Vielleicht tue ich ihm unrecht und es ist eher so, dass meine Großmutter immer die Weihnachtspostkarten geschrieben hat und er darin nun mal ungeübt ist.
    »Mach den Brief von der verrückten Frau auf. Eine verrückte Nudel, hier so an Weihnachten mir nichts dir nichts, reinzuplatzen«, sagt Mutter ganz müde.
    Ihre Augen glänzen verschleiert und sind leicht gerötet, sie hält sich die Hand vor den Mund, weil sie gähnt. Ich nehme den Brief, freue mich gar nicht mehr so richtig, da die ganze weihnachtliche Zeremonie im Grunde vorbei ist. Es gibt keine Geschenke mehr, und unsere Mägen schreien nach einer Esspause in der Waagerechten. Ein Berg schmutzigen Geschirrs wartet darauf, abgewaschen zu werden.
    Ich reiße den Brief langsam auf.
    »Hey, guck mal, Mama, da drin ist noch ein anderer Brief. Ein blauer Brief …«
    Ich drehe den ein wenig kleineren Brief hin und her und versuche, mich aufzurappeln, das heißt, mein Hirn in Gang zu setzten. Plötzlich erkenne ich etwas. Ich erkenne ein Wort. Ein bloßes Wort, und mir wird schlecht. Ein Wort, das ich kenne, das ich sicher nie vergessen werde. Nur ein Wort, wie der Kosename meines ersten Liebhabers, meiner besten Freundin oder wie meine Heimatstadt. Das Blut stockt in meinen Adern. Ich sehe zu meiner Mutter, die ebenfalls aus ihrer
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