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Tuchfuehlung

Tuchfuehlung

Titel: Tuchfuehlung
Autoren: Doris Meissner-Johannknecht
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    Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch
    Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg,
    Februar 2001
    Lizenzausgabe mit Genehmigung
    des Peter Hammer Verlages, Wuppertal
    Copyright © 1996 by Peter Hammer Verlag GmbH,
    Wuppertal
    Umschlaggestaltung Barbara Hanke
    Umschlagfoto: Tony Stone Images / Robert Wheeler
    Alle Rechte an dieser Ausgabe vorbehalten
    Satz Minion PostScript (PageOne)
    Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck
    Printed in Germany
    ISBN 3 499 20983 7

     
    Die Schreibweise entspricht den Regeln
    der neuen Rechtschreibung.
     

     
    Der erste Schultag!
    Und alle Jahre wieder das ewig gleiche Gefühl: Ich will da nicht hin! Ich will weg. Ganz weit weg. Am besten auf eine einsame Insel...
    Das war schon vor zehn Jahren so. An meinem allerersten Schultag. Da war keine Neugier, keine Freude auf die Schu le, nichts. Warum sollte ich lesen lernen? Sie hat sich jeden Abend an mein Bett gesetzt und mir eine Geschichte vorgelesen. Das hat mir gereicht. Und das hätte ewig so weiter gehen können...
    Selbst die Schultüte, fast so groß wie ich und randvoll mit Schokolade, konnte mich damals nicht locken. Von Anfang an gab es dieses Unbehagen. Diese tief sitzende Angst. Die Angst zu versagen und die Angst, nicht dazuzugehören ...
    In den ersten vier Jahren hat sie noch versucht, mir den ersten Schultag erträglich zu machen. Jedes Mal lag eine Über raschung neben meinem Frühstücksteller. Im ersten Jahr ein weicher Plüschteddy, im zweiten ein Taschen messer, im dritten ein Tagebuch, im vierten Jahr ein Gut schein über ein echtes Haustier. Maximale Größe: zehn Zenti meter!
    Das hätte gereicht: für einen Hamster, eine Maus, einen Goldfisch, einen Kanarienvogel, eine Wasserschildkröte! Für eine Ratte, eine Katze, einen Hund nicht. Aber trotzdem ...
    Das war das schönste Geschenk.
    Aber ich habe es nie bekommen.
    Weil sie weggegangen ist.
    Und mein Vater hat sich geweigert, den Gutschein einzulösen.
    «In meinem Haushalt will ich kein Haustier, Zeno! Akzeptiere das bitte!»
    Ich habe es akzeptiert. Ohne Widerspruch.
    Aber ich habe aufgehört, mit ihm zu reden.
     
    Es ist sieben Uhr. Wir sitzen am Küchentisch. Meine Schwester Laura und ich.
    Seit vier Jahren machen wir uns das Frühstück selbst.
    «Kann ich euch das zumuten? Mit vierzehn, Laura?»
    Ja, natürlich. Doch. Cornflakes mit Milch oder Müsli. Das ist wirklich zu schaffen.
    Seit vier Jahren schläft er länger als wir. Sein Wecker klingelt, wenn wir aus dem Haus gehen. Um halb acht. Laura stellt die Kaffeemaschine für ihn an und bringt ihm die Tageszeitung ans Bett. So beginnt sein Tag. Um neun öffnet er seinen Laden.
     
    Heute also mal wieder!
    Der erste Schultag.
    Und der ist schlimmer als sonst.
    Viel, viel schlimmer.
    Heute kommen gleich mehrere Katastrophen auf einmal auf mich zu.
    Eine neue Schule. Am anderen Ende der Stadt.
    Eine neue Klasse. Zum zweiten Mal die Neun.
    Ein neuer Schultyp. Gesamtschule! Für meinen Vater der totale soziale Abstieg.
    «Wenn du jetzt nicht aufpasst, Zeno, dann kommt irgendwann die Sonderschule!»
    Ja, das weiß ich auch...
    Aber vorher steckt er mich wieder ins Internat.
    Mein Vater hat Probleme mit mir. Weil ich so bin, wie ich bin.
    Ein Versager eben. Das zweite Mal sitzen geblieben. Ein unaufhaltsamer Abstieg. Vom Gymnasium über die Realschule zur Gesamtschule. Und auch sonst gibt es nichts, wo rauf er stolz sein könnte. Ich hole keine Medaillen, weil ich keinen Sport treibe. Ich gewinne keine Wettbewerbe, weil ich kein Instrument spiele. Es gibt nichts Bemerkenswertes. Nichts von dem, was ihm wichtig ist, hab ich geschafft.
    Alles hat er versucht. Judo, Reiten, Tennis, Klavier, Ballett und die Jugendgruppe unserer Kirche. Aber nichts hat ge passt für mich. Ich hab nicht durchgehalten. Ich hab das alles nicht hingekriegt. Jedenfalls nicht schnell genug. Das war schon im Kindergarten so. Ich war zu langsam. Immer der Letzte. Niemals ist es mir gelungen, einen Ball zu fangen, ihn zu treten, war auch schwierig. Bis ich Fahrrad fahren konnte, hatte er mich schon aufgegeben. Aber da ist sie noch da gewesen. Für sie war das alles kein Problem. Sie hat mir die Geschichte vom Hans im Glück vorgelesen. Immer wieder. Und dann hat sie gesagt:
    «Ich finde, du musst nicht alles können. Rollschuhe und Schlittschuhe? Wozu? Du kannst schwimmen und Ski fahren. Das reicht!»
    Inzwischen findet er mich selbst für seinen Laden unzumut bar. Das ist gut so. Optiker hab
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