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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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tschechischen Weihnachtsmärchen nur selten und synchronisiert, es klingt nicht gut. Egal. Wir setzen die Tradition mit den Defa- und den kitschigen USA-Märchen fort und sind letztendlich genauso zufrieden.
    Ich liebe es, mich ganz festlich zu schminken, mit buntem Lidschatten, den Mund pink, damit das Bild vollkommen ist. Der Weihnachtsbaum ist diesmal klein. Kein Geld und niedrige Decken sind dafür verantwortlich. Auch egal. Ihn aufzustellen und zu schmücken, bietet Anlass zum Streit, weil Mutter natürlich besser weiß, wie der Weihnachtsschmuck drapiert werden muss, damit keine einzige Nadel zu sehen ist. Auch das wiederholt sich Jahr für Jahr. Ich, der dumme Esel, der alles falsch macht, beziehungsweise keinen Sinn für Ästhetik hat, wie sie sagt, lasse es über mich ergehen und wende mich lieber anderen Festritualen zu.
    Ich liebe es, die Geschenke einzupacken, die diesmal recht spärlich sind, da wir nicht mehr stehlen. Den Tisch zu decken, mit buntem Sperrmüllgeschirr, währenddessen Plätzchen zu mampfen, sodass ich abends keinen Hunger mehr habe, Nachbarn zu besuchen und deren Weihnachtsbäume zu bewundern bzw. so zu tun, als ob, denn unser Baum ist selbstverständlich der einzig wahre.
    Schließlich weinen wir noch ein wenig, weil wir diesmal nur zu zweit feiern und Oma, Opa und Ben uns besonders fehlen.
    Opa ist allein. Mutter hat ihn kurz angerufen. Er feiert mit Maria und Jarek zusammen, trotzdem ist er allein. Sein erstes Weihnachten ohne Oma. Ich liebe Weihnachten, bin aber nicht fröhlich. Das legt sich noch, denke ich. Verdammt.

EINE VERRÜCKTE NUDEL AUS DEM NICHTS
    Um 17 Uhr, gerade als Mama die Fischsuppe in den tiefen Tellern servieren will, klopft es an unsere Tür. Entnervt verdrehen wir die Augen und lassen gleichzeitig das typische »Tzz« erklingen. Eine Geste des Missmuts, die ich von meiner Mutter geerbt habe. Es ist klar, dass irgendein Idiot Salz, Eier, Mehl oder sonstige Zutaten vergessen hat einzukaufen und wir mal wieder die Samariter sein sollen, die ihm aus der Patsche helfen. Es stört uns, in diesem außerordentlich wichtigen, traditionellen und traurigen Moment aus der Harmonie gebracht zu werden, auch wenn es sich nur um Salz, Eier oder Mehl handelt. Es könnte auch ein Vorwand sein. Keine Seltenheit. Die Einsamkeit kriecht heute bedrohlich durch die Knochen der Einzelgänger, und die brauchen wir nicht. Nicht heute Abend.
    »Mach mal auf, Leni, sag, wir haben keine Zeit zu quatschen, und wenn es Zbynëk ist, dann wimmele ihn einfach ab, sag gar nichts und mach die Tür wieder zu. Der saugt mir eh das Blut aus den Adern. Wird jetzt schon hackevoll sein. Man wird ja wohl noch am Heiligen Abend in Ruhe essen können. Wo sind wir denn hier? Im Zirkus, oder was!«, ärgert sich Mutter, während sie den Teller anhebt und den Schöpflöffel in die Suppe taucht.
    Ich quäle mich schwerfällig aus dem Sessel und schiebe dabei die aufgeweichten Plätzchen im Mund von einer Seite zur anderen, um die Flüssigkeit rauszusaugen, eine alte Gewohnheit. Ich richte meine verdrehte Strumpfhose und ziehe sie mit einem Ruck hoch, damit der Schritt nicht so unangenehm in den Knien hängt, und nachdem ich all diese lebenswichtigen Angelegenheiten erledigt habe, sperre ich die Tür auf.
    »Oh, Frau Schmidt?! Was macht hier? In Lager. In Heilige Abend?«, stottere ich überrascht.
    Ich bin in diesem Moment nicht auf deutsche Konversation und all die gespreizten Umgangsformen vorbereitet. Frau Schmidt steht dick und breit vor der Tür, ihre Augen funkeln, als wäre sie der Weihnachtsmann persönlich, die Wangen erinnern an zwei glühende Bälle.
    »Lenka, lasst euch nicht stören. Ich bin gleich wieder weg. Bestelle deiner Mutter viele liebe Grüße …«
    Mama erscheint im Türrahmen.
    »Frau Schmidt! Das ist viele nett. Wieso kommen?«
    Mutter hat manchmal eine etwas direkte Art. Zu direkt, denke ich. Sie steht kerzengerade da, die Arme leicht gebeugt und lässig baumelnd, in der einen Hand ein Geschirrtuch, in der anderen den tropfenden Schöpflöffel. Kampfbereit.
    »Ach, Frau Nadja, entschuldigen Sie die Störung, ich wollte Ihnen nur etwas Kleines übergeben. Ich habe es schon seit mehreren Tagen bei mir. Nun möchte ich Ihnen diesen Brief gerade heute Abend geben, quasi als Weihnachtsgeschenk.«
    Irgend so was in der Art muss sie gesagt haben.
    Frau Schmidt gibt mir einen roten Umschlag in die Hand und grinst dabei. Alle schweigen.
    »Nanu …??«, stottert Mutter. »Was ist
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