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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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Schauspielerin vor ihm liegt. Er würde mich ganz sicher sofort verraten, der deutsche Arzt. Da meine medizinische Kompetenz ohnehin nicht besonders ist, würde auch ein absoluter Dilettant mein Kabarettstückchen sofort durchschauen. Was mache ich denn jetzt … keine Ahnung.
    Ich höre Stimmen. Sie werden immer lauter. Wenn ich wüsste, dass mich in diesem Augenblick niemand anstarrt, würde ich vorsichtig ein Auge öffnen und die Lage peilen, aber ich bin mir nicht sicher. Was tue ich denn jetzt? Sie kommen genau auf mich zu. Oje. Wie verhalte ich mich?!! Hilfe! Okay, okay, einen kühlen Kopf bewahren! Irgendwas muss ich unternehmen!
    »Öh … oeh … hmnmm … öerh … oh … ehhnmm …«, und mit diesem wirklich klugen Text atme ich tief ein und aus.
    »Frau Hrózová!«, ruft der Dolmetscher, dessen Mundgeruch jetzt zu wahrer Geltung kommt.
    Ich zerknirsche mein Gesicht.
    »Sie kommt zu sich!«, prustet er in meine offene Mundhöhle.
    Ich wähle den sensiblen Flüsterton.
    »Meine Mutter … wo ist meine Mutter. Mama. Mama. Wo bist du, Mama …«
    Langsam öffne ich die Augen, noch bevor sich der Arzt, oder wer auch immer es ist, über mich beugt, und flüstere: »Ich möchte meine Mama hierhaben.«
    Menschen sprechen durcheinander, sie bilden einen Kreis um mich. Ich wiederhole immer wieder »Mama, Mama«, ganz matt vor mich hin, und hoffe, dass es seine Wirkung entfaltet.
    Die dünne Bohnenstange geht aus dem Zimmer. Die Herren um mich herum heben mich vorsichtig hoch und schenken mir ein Glas Wasser ein, das ich gierig austrinke, weil ich nach dem Affentheater Durst habe. Dann werde ich in ein abgelegenes Zimmer gebracht und dort auf einen Stuhl gesetzt. Meine Haare sind zerzaust, und die Ohrläppchen glühen.
    Ich warte. Die Sonnenstrahlen leuchten mich an, und ich bin jetzt ganz ruhig. Ruhig wie nach einem Marathonlauf. Ich kann nichts mehr tun. Ich bin fertig mit meiner Aufgabe. Nichts geschieht, nur Stimmen aus dem Nebenzimmer sind zu hören, aber ich kann nichts verstehen.
    Stattdessen grübele ich. Ich weiß nicht, ob das Ganze, was in den letzten acht Monaten passiert ist, richtig war. Ich bin mir nach wie vor nicht sicher, ob wir, Mutter und ich, hier glücklich sein können. Ich finde hier keine gebratenen Tauben, die in den Mund hineinfliegen, nein, die werde ich hier niemals finden, so wie ich sie auf der ganzen Welt nicht finden werde. Nichts ist leicht und umsonst, stelle ich fest. Alles hat seinen Preis. Die gebratenen Tauben fliegen genauso in Pùerov herum und kacken uns auf den Kopf. Wie irrational. Die Pùerovaker glauben nach wie vor, dass hier das Glück auf der Straße liegt. Sie ahnen nicht, dass ihre eigenen Provinzstraßen mit Glück gepflastert sind.
    Vielleicht wäre es besser, zurückzukehren, nach dieser niederschmetternden Erkenntnis. Neu anzufangen. Mutter wäre auf alle Fälle glücklicher, egal, welchen Preis sie dafür zahlen müsste. Sie wird in Deutschland niemals ankommen, sie wird hier immer ein Fremdling bleiben.
    Es klopft an der Tür und ein anderer Typ, den ich bisher noch nicht gesehen habe, fordert mich auf, ihm zu folgen. Ich gehorche. Ich bin die Ruhe selbst, voller Vertrauen und ohne jede Angst. Ich bin gewillt, allen Menschen die Wahrheit zu sagen, mich auf keinen Fall zu verstellen, einfach ich selbst zu sein.
    Mutter sitzt da. Sie lächelt mir müde zu, schweigt aber. Ihr Kajalstift ist verwischt und wieder angetrocknet, wie kleine Landkarten unter den Augen. Sie sieht mitleiderregend aus. Hier darf man nicht rauchen, das macht ihr sicherlich zu schaffen. Der dicke Dolmetscher alias Herr Potocky wendet sich an mich und fragt nach meinem Befinden. Ich versichere ihm, dass es mir gut geht und er sich keine Sorgen zu machen braucht. Dann fragt er mich nach allgemeinen Formalitäten, wie Name, Alter, Geburtsort und so weiter. Mutter schweigt und schaut mich dabei ununterbrochen an.
    »Was hat Sie, Frau Hrózová, dazu veranlasst, zu emigrieren?«, fragt er unvermittelt.
    Ich wusste, dass früher oder später diese Frage kommen und ich mich entscheiden müssen würde, welche Version ich ihnen servieren möchte. Jetzt wird sich Mutters und meine Zukunft entscheiden.
    »Ich hatte viele Gründe«, antworte ich.
    »Ja?«
    »Ich konnte keine westlich bedruckten T-Shirts tragen.«
    »So …?«, antwortet Herr Potocky ungläubig.
    »Wissen Sie, Herr Potocky …«
    »Nein, Frau Hrózová, ich möchte es aus dem Mund Ihrer Tochter hören«, unterbricht er meine Mutter,
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