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Das Lächeln der Frauen

Das Lächeln der Frauen

Titel: Das Lächeln der Frauen
Autoren: Nicolas Barreau
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    Letztes
Jahr im November hat ein Buch mein Leben gerettet. Ich weiß, das klingt jetzt
sehr unwahrscheinlich. Manche mögen es gar für überspannt halten, wenn ich so
etwas sage, oder melodramatisch. Und doch war es genau so.
    Dabei
hatte nicht einmal jemand auf mein Herz gezielt und die Kugel wäre
wundersamerweise in den Seiten einer dicken, in Leder gebundenen Ausgabe von
Baudelaires Gedichten steckengeblieben, wie man es manchmal in Filmen sehen
kann. So ein aufregendes Leben führe ich nicht.
    Nein,
mein dummes Herz war bereits vorher verwundet worden. An einem Tag, der wie
jeder andere zu sein schien.
    Ich
erinnere mich noch genau. Die letzten Gäste im Restaurant - eine Gruppe von
ziemlich lauten Amerikanern, ein diskretes japanisches Paar und ein paar
diskutierwütige Franzosen - waren wie immer lange sitzengeblieben, und die
Amerikaner hatten sich nach dem Gâteau au chocolat mit vielen »Aaahs«
und »Ooohs« die Lippen geleckt.
    Suzette
hatte, nachdem der Nachtisch serviert war, wie immer gefragt, ob ich sie wirklich
noch brauche, und war dann glücklich davongeeilt. Und Jacquie war wie immer
schlecht gelaunt gewesen. Dieses Mal hatte er sich über die Eßgewohnheiten der
Touristen ereifert und die Augen verdreht, während er die leergefegten Teller
scheppernd in die Spülmaschine warf.
    »Ah,
les Américains! Verstehen nichts von französischer Cuisine, rien
du tout! Essen immer die Dekoration mit - warum muß ich für Barbaren
kochen, ich hätte gute Lust, alles hinzuschmeißen, es macht mir schlechte
Laune!«
    Er
hatte sich die Schürze losgebunden und mir beim Hinausgehen sein Nonne nuit entgegengebrummt,
bevor er sich auf sein altes Fahrrad schwang und in der kalten Nacht verschwand.
Jacquie ist ein großartiger Koch und ich mag ihn sehr, auch wenn er seine
Griesgrämigkeit vor sich herträgt wie einen Topf Bouillabaisse. Er war schon
Koch im Temps des Cerises, als das kleine Restaurant mit den rot-weiß
gewürfelten Tischdecken, das etwas abseits vom belebten Boulevard Saint-Germain
in der Rue Princesse liegt, noch meinem Vater gehörte. Mein Vater liebte das
Chanson von der »Zeit der Kirschen«, die so schön ist und so schnell vorbei,
dieses zugleich lebensbejahende und etwas wehmütige Lied über Liebende, die
sich finden und wieder verlieren. Und obwohl sich die französische Linke dieses
alte Lied später zur inoffiziellen Hymne erkoren hat, als ein Bild für Aufbruch
und Fortschritt, glaube ich, daß der wahre Grund, weshalb Papa sein Restaurant
so nannte, weniger dem Gedenken an die Pariser Kommune geschuldet war, sondern
ganz persönlichen Erinnerungen.
    Dies
ist der Ort, an dem ich aufgewachsen bin, und wenn ich nach der Schule mit
meinen Heften in der Küche saß, umgeben vom Geklapper der Töpfe und Pfannen und
von tausend verheißungsvollen Gerüchen, konnte ich sicher sein, daß Jacquie
immer eine kleine Leckerei für mich hatte.
    Jacquie,
der eigentlich Jacques Auguste Berton heißt, kommt aus der Normandie, wo man
bis zum Horizont sehen kann, wo die Luft nach Salz schmeckt und das endlose
Meer, über dem Wind und Wolken ihr rastloses Spiel treiben, dem Auge nicht den
Blick verstellt. Mehr als einmal am Tag versichert er mir, daß er es liebt,
weit zu gucken, weit! Manchmal wird ihm Paris zu eng und zu laut, und
dann sehnt er sich an die Küste zurück.
    »Wer
einmal den Geruch der Cote Fleurie in der Nase hat, wie kann der sich in den
Pariser Abgasen wohlfühlen, sag mir das!?«
    Er
wedelt mit dem Fleischmesser und schaut mich vorwurfsvoll mit seinen großen
braunen Augen an, bevor er sich mit einer ungeduldigen Bewegung die dunklen
Haare aus der Stirn wischt, die mehr und mehr - ich sehe es mit einer gewissen
Rührung - von silbrigen Fäden durchzogen sind.
    Es
ist doch erst ein paar Jahre her, daß dieser stämmige Mann mit den großen
Händen einem vierzehnjährigen Mädchen mit langen dunkelblonden Zöpfen gezeigt
hat, wie man die vollkommene Creme brake zubereitet. Es war das erste
Gericht, mit dem ich meine Freundinnen beeindruckte.
    Jacquie
ist natürlich nicht irgendein Koch. Als junger Mann hat er in der
berühmten Ferme Saint-Siméon gearbeitet, in Honfleur, der kleinen Stadt
am Atlantik mit diesem ganz besonderen Licht - Fluchtpunkt der Maler und
Künstler. »Das hatte schon etwas mehr Stil, meine liebe Aurélie.«
    Doch
so viel Jacquie auch schimpft - ich lächle still, weil ich weiß, daß er mich
nie im Stich lassen würde. Und so war es auch in jenem letzten
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