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Das Lächeln der Frauen

Das Lächeln der Frauen

Titel: Das Lächeln der Frauen
Autoren: Nicolas Barreau
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sorgfältig geplant haben, und ich
fragte mich, wie es sein konnte, daß ich nichts gemerkt hatte, nichts. Davon,
daß er vorhatte zu gehen. Davon, daß er sich verliebt hatte. Davon, daß er
bereits eine andere Frau küßte, während er mich küßte.
    In
dem hohen goldgerahmten Spiegel, der im Flur über der Kommode hing, spiegelte
sich mein blasses verweintes Gesicht wie ein bleicher Mond, der von zitternden,
dunkelblonden Wellen umgeben war. Meine langen, in der Mitte gescheitelten
Haare waren zerzaust wie nach einer wilden Liebesnacht, nur daß es keine
heftigen Umarmungen und geflüsterten Schwüre gegeben hatte. »Du hast Haare wie
eine Märchenprinzessin«, hatte Claude gesagt. »Du bist meine Titania.«
    Ich
lachte bitter auf, trat ganz nah an den Spiegel heran und musterte mich mit dem
unerbittlichen Blick der Verzweifelten. In meiner Verfassung und mit den tiefen
Schatten unter meinen Augen erinnerte ich eher an die Irre von Chaillot, fand
ich. Rechts über mir steckte im Rahmen des Spiegels das Photo von Claude und
mir, das ich so sehr mochte. Es war an einem lauen Sommerabend entstanden, als
wir über den Pont des Arts schlenderten. Ein beleibter Afrikaner, der auf der
Brücke seine Taschen zum Verkauf ausgebreitet hatte, hatte es von uns gemacht.
Ich erinnere mich noch, daß er unglaublich große Hände hatte - zwischen seinen
Fingern wirkte meine kleine Kamera wie ein Puppenspielzeug - und daß es eine
Weile dauerte, bis er endlich auf den Auslöser drückte.
    Wir
lachen beide auf diesem Photo, unsere Köpfe eng aneinandergeschmiegt, vor einem
tiefblauen Himmel, der die Silhouette von Paris zärtlich einhüllt.
    Lügen
Photos oder sagen sie die Wahrheit? Im Schmerz wird man philosophisch.
    Ich
nahm das Bild herunter, legte es auf das dunkle Holz und stützte mich mit
beiden Händen auf die Kommode. »Que ç a dure!« hatte der schwarze Mann aus Afrika
uns mit tiefer Stimme und rollendem »r« lachend nachgerufen. »Que ç a dure!« Möge es so bleiben!
    Ich
merkte, wie sich meine Augen erneut mit Tränen füllten. Sie liefen mir die
Wangen hinunter und platschten wie dicke Regentropfen auf Claude und mich und
unser Lächeln und diesen ganzen Paris-für-Verliebte-Quatsch, bis alles zur
Unkenntlichkeit verschwamm.
    Ich
zog die Schublade auf und stopfte das Photo zwischen die Schals und Handschuhe.
»So«, sagte ich. Und dann noch einmal: »So.«
    Dann
drückte ich die Schublade zu und dachte darüber nach, wie einfach es doch war,
aus dem Leben eines anderen zu verschwinden. Für Claude hatten ein paar Stunden
gereicht. Und wie es aussah, war das gestreifte Hemd eines Herrenpyjamas, das
wohl eher absichtslos unter meinem Kopfkissen vergessen worden war, das
einzige, was mir von ihm blieb.
     
    Glück
und Unglück liegen oft sehr nahe beieinander. Anders formuliert könnte man auch
sagen, daß das Glück bisweilen seltsame Umwege nimmt.
    Hätte
Claude mich damals nicht verlassen, hätte ich mich an diesem trüben kalten
Novembermontag wahrscheinlich mit Bernadette getroffen. Ich wäre nicht als
einsamster Mensch von der Welt durch Paris geirrt, ich wäre bei Anbruch der
Dämmerung nicht lange Zeit auf dem Pont Louis-Philippe stehengeblieben und
hätte von Selbstmitleid überwältigt ins Wasser gestarrt, ich wäre nicht vor
diesem besorgten jungen Polizisten in die kleine Buchhandlung auf der Île
Saint-Louis geflüchtet, und ich hätte niemals dieses Buch gefunden, das mein
Leben in ein so wunderbares Abenteuer verwandeln sollte. Aber der Reihe nach.
    Es
war zumindest sehr rücksichtsvoll von Claude, mich an einem Sonntag zu
verlassen. Montags bleibt das Temps des Cerises nämlich immer
geschlossen. Das ist mein freier Tag, und an diesem Tag mache ich stets irgend
etwas Schönes. Ich gehe in eine Ausstellung. Ich verbringe Stunden im Bon
Marché, meinem Lieblingskaufhaus. Oder ich sehe Bernadette.
    Bernadette
ist meine beste Freundin. Wir haben uns vor acht Jahren auf einer Zugfahrt
kennengelernt, als ihre kleine Tochter Marie stolpernd auf mich zulief und
schwungvoll einen Becher Kakao über meinem cremefarbenen Strickkleid entleerte.
Die Flecken sind nie ganz herausgegangen, aber am Ende dieser sehr kurzweiligen
Zugfahrt von Avignon nach Paris und nach dem gemeinsamen und nicht sehr
erfolgreichen Versuch, das Kleid in einer schwankenden Zugtoilette mit Wasser
und Papiertaschentüchern zu reinigen, waren wir fast schon Freundinnen.
    Bernadette
ist alles, was ich nicht bin. Sie ist schwer zu beeindrucken,
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