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TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt

TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt

Titel: TS 97: Das Mittelalter findet nicht statt
Autoren: L. Sprague de Camp
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1.
     
    Tancredi nahm beide Hände vom Steuer und fuchtelte erregt herum.
    „… beneide ich Sie wirklich, Dr. Padway. Hier im Rom haben wir zwar noch Arbeit, aber nichts Großes, nichts Neues. Alles nur Restaurationsarbeit!“
    „Professor Tancredi“, sagte Martin Padway geduldig, „wie ich Ihnen schon einmal sagte, bin ich nicht Doktor. Wenn die Ausgrabungen im Libanon eine Doktorarbeit ergeben sollten, werde ich vielleicht einmal einer.“
    Da er selbst ein äußerst vorsichtiger Fahrer war, waren seine Knöchel beinahe weiß, so fest klammerte er sich am Haltegriff des kleinen Fiat fest, und sein rechter Fuß schmerzte schon von seinen vergeblichen Versuchen, eine imaginäre Bremse zu treten.
    Tancredi ergriff das Steuer gerade noch rechtzeitig, um einem voluminösen Lancia auszuweichen.
    „Das hat doch hier in Italien nichts zu sagen. Hier ist doch jeder Doktor, ob er nun den Titel hat oder nicht. Und ein so gebildeter junger Mann wie Sie … wovon habe ich eigentlich gesprochen?“
    „Das kommt darauf an.“ Padway schloß die Augen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie ein Fußgänger gerade noch dem sicheren Tod entging.
    „Sie sprachen von etruskischen Inschriften, dann von der Natur der Zeit und dann von römischer Archäologie.“
    „Ja, meine Zeittheorie. Wissen Sie, das Ganze ist natürlich nur so eine Spielerei von mir. Ich sagte, daß all diese Leute, die verschwunden sind, in Wirklichkeit nur den Stamm hinuntergerutscht sind.“
    „Den was?“
    „Den Stamm. Den Stamm des Baumes der Zeit. Und wenn sie aufhören zu rutschen, befinden sie sich in irgendeiner früheren Zeitepoche. Und sobald sie irgend etwas tun, verändern sie alle weitere Geschichte.“
    „Das klingt paradox“, meinte Padway.
    „Nein. Der Stamm existiert weiter. Aber dort, wo diese Leute zur Ruhe kommen, bildet sich ein neuer Ast. Das muß so sein, sonst würden wir alle verschwinden, weil die Geschichte sich geändert hat und unsere Eltern vielleicht nie zusammengekommen sind.
    Die Geschichte ist einfach ein Netz, ein vierdimensionales Netz.
    Aber sie hat ihre schwachen Punkte. Die Verbindungsstellen – die Brennpunkte könnte man sagen – sind schwach. Und an solchen Stellen passiert es eben, daß Leute zurückrutschen.“
    „Was meinen Sie mit Brennpunkten?“ fragte Padway. Er wollte den alten Professor nicht beleidigen, hielt aber die ganze Theorie für leicht verrückt.
    „Oh, Orte wie Rom, das der Schauplatz so vieler historischer Ereignisse war. Oder Istanbul. Oder Babylon. Erinnern Sie sich an diesen Archäologen Skrzetuski, der 1956 in Babylon verschwunden ist?“
    „Ich dachte, arabische Grabräuber hätten ihn umgebracht?“
    „Ah. Aber man hat nie eine Leiche gefunden.“
    Sie rasten soeben den Corso Vittorio Emanuele hinunter und jagten mit heulenden Reifen in die Via Cestari. Padway stieg nach einer wortreichen Verabschiedung an der Piazza del Pantheon aus.
     
    *
     
    Padway sah das Gebäude ein paar Minuten lang an. Er hatte es immer für sehr häßlich gehalten, eine Mischung verschiedener Stilelemente, wie zum Beispiel diese große korinthische Fassade und die Backsteinrotunde. Natürlich, diese große Kuppe war eine Meisterleistung der Ingenieurkunst, wenn man bedachte, um welche Zeit man diese Kuppel errichtet hatte. Dann mußte Padway zur Seite springen, um einem Motorradfahrer in Polizeiuniform auszuweichen.
    Padway ging zu dem Portikus hinüber, um den sich Männer drängten, die den Nationalsport des Herumlungerns ausübten. Etwas, was ihm an Italien gefiel, war, daß er hier als vergleichsweise groß galt. Hinter ihm grollte der Donner, und ein Regentropfen klatschte auf seine Hand. Er begann längere Schritte zu nehmen. Selbst wenn sein Trenchcoat wirklich wasserdicht war, wie der Verkäufer behauptet hatte, so wollte er doch nicht, daß sein nagelneuer Fünftausend-Lire-Borsalino naß wurde. Er war stolz auf den Hut.
    Und dann riß ihn ein Blitz, wie er noch nie einen erlebt hatte, aus seinen Gedanken. Er schlug unmittelbar rechts von ihm auf die Piazza ein. Der Boden versank unter seinen Füßen wie eine Falltür.
    Seine Füße schienen über dem Nichts zu hängen. Der rote Schimmer über seinen Augen ließ ihn sonst nichts erkennen. Immer weiter rollte der Donner.
    Es war ein beunruhigendes Gefühl, so mitten in der Luft zu hängen. Er spürte auch keinen Luftstrom um sich, was hätte der Fall sein müssen, wenn er in einen Schacht gefallen wäre. Er hatte überhaupt keine Vorstellung,
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