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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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miserabel, my old boy! Das Turnen sogar tragisch. Du musst Dich mehr zusammenreißen und musst lernen, auch nach außen hin Erfolge zu haben!!
    Es küsst Euch beide mit inniger Liebe: Papa.
     
    Liebe Franzi! Für Sie bleibt mir immer nur der Rest des Papiers, dafür aber die Hoffnung, Sie morgen sprechen zu können. Diese zweiten Montage sind mir so herrlich krafterhaltend wie die »Samstage«, wo die Briefe der Kinder kommen. Und was würde ich Ihnen auch auf l0 oder l00 Seiten anderes schreiben als das eine: wie dankbar ich bin, dass Gott Sie mir gab, und Ihnen, dass Sie seinen Willen so ausführen, wie Sie es tun! Herzlichst PM.

[7]
    Berlin-Plötzensee, den 4. Mai 1942
    Königsdamm 7 – Haus III
     
    Meine Lieben! Liebe Petrara! Ich habe geträumt, dass Du ein bisschen krank warst, aber dass alles gut und schnell vorbeiging! Davon musst Du mir schreiben, genau so süß und lieb, wie im vorigen Brief, für den ich Dir herzlich danke. Bei uns ist es recht kalt, und die Bäume wollen auch noch nicht blühen. Aber die Birken haben schon grüne Spitzen und in der Früh hört man die Vögel. Sei tausendmal geküsst!! Geliebter Pila! Zu Deinem Brief von rund fünfzehn Seiten will ich Anmerkungen machen, und zwar: l.) Allgemein »menschliche«, 2.) Schulmeisterlich erzieherische, 3.) Formal stilistische, 4.) Väterlich beratende. Zu 1.) Mit jedem Wort, das von Dir kommt, und wenn es auch nur papperlapapp oder pitschipatschi hieße, freue ich mich, denn es kommt von Dir – den ich liebe. Zu 2.) Trotzdem schreibt man Haupt- und Dingwörter groß, auch bei der größten Eile. Worte schreibt man aus, ohne zwei bis drei Endbuchstaben zu schlucken. Schlampig sprechen ist schon hässlich, schlampig schreiben ist Sünde wider die Sprache. Genau so darf man die letzten zwei bis drei Worte eines Satzes nicht schlucken, auch wenn die Gedanken schon weiter gerast sind. Jeder Satz muss wie ein fertiges Bild dastehen, elegant und abgerundet, aus schönen erlesenen Worten gebaut und so klar sein, dass ein fehlendes Wort bereits den Sinn zerstört und ein Wort zu viel bereits die Farbigkeit als zu bunt erscheinen lässßt. Rein technisch
musst
Du darandenken: entweder man schreibtoder lateinisch. Scheußlich finde ich Worte wie »ungen«.
    Zu 3.) Furchtbar schwer ist die Form eines Tagebuchbriefes. Diese schwere Form wird Dir noch erschwert durch die Kenntnis meiner Vorliebe für Geschichten, die beginnen: »also wir sind aufgestanden«. Diese meine Lieblingsform bevorzuge ich aber nur, wenn ich weiß, dass eine spannende Geschichte folgt. D. h., ich ziehe mir den Genuss durch die Einschaltung der langen vorbereitenden Einleitung in die Länge! Ist das zu beschreibende Erlebnis an sich belanglos, so führt die gezogene Einleitung zur trügerischen Erwartung – also zur Enttäuschung! Es ist also ein Trick! Wenn ich BUMM sagen will, ist es wirkungsvoller – da überraschender –, wenn ich sage: pf, pf, pf … BUMM, statt wenn ich BUMM, BUMM, BUMM sage! Also können in der Tagebuchform alle Sätze wie »bin aufgestanden«, »habe Milch geholt«, »war bei Poe« wegfallen, außer wenn sie als Einleitung zu einer BUMM-Geschichte benötigt werden. Und jetzt komme ich zu Punkt 4.) – und ein jäher Schreck packt mich! Wenn ich den Tagesberichten die obigen Sätze abziehe, einschließlich der Feststellung, ob es warm oder kalt war an jenem Tag, so bleibt nur der Satz: »ES WAR NICHTS LOS!« Wie kann das passieren? Wer ist denn so arm!? Ich sagte zu meinem Freund: »Erzähle mir einen schönen Tag aus Deinem Leben«, und er sagte: »Ich habe ein erstes grünes Blatt gesehen – es war fast zu viel für einen Tag«. Erzähle mir noch einen Tag, sagte ich: »Ich habe ein Buch zu lesen begonnen, in diesem Zeichen stand der Tag«. Pali Liebstes, versteh mich jetzt recht: »
los «
ist nur im Kino immer etwas, und es sind Dinge, die von außenkommen und vergehen wie der Wind. Dieses Kino und das ganze falsch verstandene Leben lassen jetzt die Menschen auf der Lauer liegen in Erwartung dessen, dass »etwas los« sein soll!! Und der Mensch wird alt und stumpf und es war »nichts los«. Nur was ich
aus
den Dingen, die da »los« sind,
mache
, ist Leben, hat Sinn und Tiefe, und dieses »los« Sein ist oft nur ein »grünes Blatt« und greift tiefer als das Versinken einer ganzen Welt! Es ist unendlich viel »los«
in
Dir bei scheinbarem »nichts los« außer Dir – und von diesem Reichtum will ich hören, in jeder Form – im Notfall auch in der
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