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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
Autoren: Max Landorff
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Prolog
Der Mann redete auf die Hunde ein. Schon seit einer halben Stunde tat er das, da sie etwas müde wirkten, jetzt, am Ende der langen Tagestour. Er wollte sie auf den letzten Metern aufmuntern. Seine Worte galten vor allem dem Leithund an der Spitze des Gespannes, einem großen braunen Canadian Husky, der es ihm gelegentlich durch einen Blick über die Schulter dankte. Heja, Igor, zeig, was du für einer bist, komm, weiter, auf dich kann man sich verlassen … Solche Sachen sagte der Mann. Er musste laut reden, fast schreien, denn nicht nur sein Körper, sondern auch sein Kopf war dick vermummt. Das Gesicht steckte in einer Art Strumpfmaske, zwei Schlitze für die Augen, eine Schneebrille darüber. Auf dem Kopf trug er eine Fellmütze, die unterm Kinn zugebunden war, und darüber noch die Kapuze des Daunenanoraks.
Es war der 2. Dezember, der Tag vor dem ersten Advent, nachmittags gegen vier. Der Mann stand auf einem Hundeschlitten, die Füße in unförmig dicken Schuhen auf den verlängerten Kufen, die Hände in unförmig dicken Handschuhen an zwei Haltegriffen. Sein Schlitten war drei Meter lang, hochbepackt mit Proviant und Gerätschaften. Davor liefen die sechs Hunde, immer zwei nebeneinander in einem ausgeklügelten System aus Nylonschnüren. Gleichmäßig strampelten sie in ihren Geschirren, ihr Atem produzierte kleine Dampfwolken, ihre Pfoten wirbelten den Pulverschnee auf, so dass eine feine weiße Gischt entstand und das Gefährt wie ein Boot wirken ließ, das übers Wasser schoss.
Die Sonne war schon untergegangen. Um diese Jahreszeit hielt sie sich im Norden Schwedens nur fünf Stunden pro Tag am Himmel. Aber ein fetter Vollmond beleuchtete die Szenerie. Die Luft war klar, und es war relativ warm, nur 20 Grad unter null. Seit Stunden bewegte sich der Schlitten durch eine Landschaft, die vor allem eines war: weiß. Über zugefrorene Flussbetten war er gefahren, die ausgesehen hatten wie verlassene Straßen, Wälder hatte er durchquert, in denen die Fichten wie eisige weiße Skulpturen aufgereiht waren. Jetzt ging es leicht bergab über eine freie Fläche auf einem Bergrücken.
Der vermummte Mann, den hier alle nur unter seinem Vornamen Krister kannten, war nicht allein unterwegs. Er führte einen kleinen Konvoi von sechs weiteren Schlitten an. Sie folgten ihm in derselben Spur wie Knoten in einer Schnur, in jeweils ungefähr dreihundert Meter Abstand. Eine kleine Reisegruppe, die sich hier am ersten Wochenende der Weihnachtszeit auf ihr Ziel freute, eine unter Schnee begrabene Holzhütte ohne Strom. Krister mochte diese besondere Tour mit dem Adventsfeuer als Höhepunkt, weil sie besondere Menschen zusammenführte. Wer kam schon auf die Idee, ausgerechnet zu dieser Zeit eine solche Fahrt zu buchen? Wer um diese Zeit in den Norden aufbrach und sich auf einen Hundeschlitten stellte, war an einer besonderen Zwischenstation seines Lebens angelangt. So jedenfalls schien es Krister. Die Gespräche abends vorm Feuer in den Hütten waren anders als bei anderen Touren und die Stimmung immer ein spezielles Erlebnis. Der erste Schlitten hinter Krister wurde von einer jungen Frau aus Berlin gesteuert, die gerade von ihrem Freund verlassen worden war, obwohl schon ein gemeinsamer Skiurlaub mit Eltern und Schwiegereltern geplant war. Ganz hinten in der Reihe fuhr ein älterer alleinstehender Mann aus Kopenhagen, Besitzer eines Elektroladens. Er hatte die Reise in einem Preisausschreiben gewonnen – für zwei Personen natürlich, aber er hatte keine zweite Person gefunden, die sie mit ihm hatte antreten wollen.
Seit vier Tagen waren sie unterwegs. Die Leute hatten gelernt, mit den Hunden umzugehen – wie man sie anspannte, ausspannte, fütterte, fürs Nachtlager ankettete. Sie wussten inzwischen, was zu tun war, wenn man eine Hütte erreichte. Wie man sie vom Schnee befreite, ein Feuer im Ofen machte, Schnee auftaute, damit man Wasser hatte – und wie man aus dem gefrorenen Proviant eine Mahlzeit zubereitete. Die Hütte heute würde etwas größer sein als sonst, man würde morgen einen Ruhetag einlegen und die abendliche Party vorbereiten.
 
Krister betrieb sein Unternehmen seit über zehn Jahren, er war also ein erfahrener Musher, wie die Hundeschlittenführer hießen. Als die Hütte im Mondlicht vor ihm auftauchte, sah er sofort, dass etwas nicht stimmte. Den Hütteneingang konnte er nicht sehen, nur die von hohen Schneewehen umgebene Rückseite und das im Weiß eingegrabene Dach. Aber er sah, dass die
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