Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Aufstand der Maenner

Titel: Aufstand der Maenner
Autoren: Johannes Tralow
Vom Netzwerk:
1
    Garp lag im Schilf, wo das Feuchte mit der mütterlichen Erde sich mischte, im Sumpf lag er, aus dem alles entstanden war, die Große Muttergöttin zuerst, dann die Frauen und zuletzt die Männer. Als Allmutter hatte das Gestaltlose Gestalt angenommen.
    Von der Allmutter wußte Garp nichts und nichts von den Frauen. Er kannte nur die strengen Mädchen und deren Göttin, die jungfräuliche Jägerin, die Unerbittliche. Jetzt waren sie hinter ihm her, die Amazonen, die Hipsa und all die anderen Wächterinnen der tragenden und säugenden Stuten. Und die Große Jägerin, die Männer durchpfeilende Göttin, war auch hinter ihm her. Garp war ein Greuel geworden vor ihren Augen.
    Daß er wegmüsse, erkannte er selbst, und wenn ihm beschieden gewesen wäre, unter dem Steinmesser der Priesterinnen den Opfertod zu erleiden, vielleicht hätte er sich gefügt. Genau freilich wußte er es nicht. Er war gar nicht mehr so fromm. - Was würden sie. mit ihm machen, wenn sie ihn finden? Ihm würde Gleiches geschehen wie dem Menschenpaar, das zu Beginn jedes Frühlingsfestes zusammengebunden ins Moor geworfen wurde — ein Opfer für die Unbekannten dort unten. Alles Ausgestoßene kam ins Moor, und er war ein Ausgestoßener. Jetzt sei er es völlig, dachte er nicht ganz ohne Genugtuung. Denn was hatte er auf seiner Flucht über den Morast getan, als er schon von dem Unbekannten berührt worden war? Er hatte sich gewehrt und nicht qualvoll versinken wollen! Ganz allein auf sich gestellt und ohne göttlichen Schutz hatte er, ein Verfolgter der Mädchen, es gewagt, unter Anspannung aller seiner Kräfte ins Schilf zu entkommen.
    Auflehnung und Vermessenheit war das gewesen - doch entkommen war er!
    Fast einen Tag lang hatte er nun schon in seinem Versteck gelegen, hinter sich den Morast, vor sich die sanfte Strömung des Flusses Phasis, unweit von dessen Mündung ins Schwarze Meer. Wenn er vorangekrochen wäre und die Halme auseinandergebogen hätte, wäre es ihm möglich gewesen, das Meer zu erblicken. Das tat er aber nicht. Ihm lag mehr daran, auf das Donnern unzähliger Hufe zu lauschen. Das ganze Gestüt, dünkte ihn, müsse losgelassen sein, viel mehr Stuten, als Wächterinnen da seien, sie zu reiten. Er erschrak, weil ihm einfiel, daß es für die Göttin nichts Unmögliches gebe und, wenn sie es nur wolle, ein ganzes Heer aus keinem anderen Grund, als ihn zu ergreifen, am Phasis erscheinen könne.
    Und dann waren es wieder mehr die Hunde, die er fürchtete, diese schlanken Stepperrhunde. Uras Geläut hörte er deutlich heraus, und es machte ihn traurig, daß die Hündin, mit der er doch aufgewachsen war, ihn verraten wollte. Aber da die Pferde nicht geflogen waren, hielt er es bei den so viel geringeren Hunden überhaupt nicht für möglich, und der Gedanke, daß Hunde auch nicht mehr seien als er selbst, wurde ihm zu einer beruhigenden Vorstellung, die mit einiger Schadenfreude gemischt war. Und müßig sei er auch nicht gewesen, dachte er.
    Er hatte das Schilf zusammengebündelt und die Bunde zu einem kleinen Floß miteinander verflochten. Mit ihm wollte er den Phasis hinunter ins Meer. Außer beim Schwimmen vertrauten sich die göttlichen Mädchen ungern dem Wasser an. Es sei ein männliches Element, sagten sie, und verächtlich. Doch Garp glaubte nicht mehr so fest an das, was sie sagten, und seit er, auf dem Bauch über den Morast kriechend, die Unbekannten überwunden hatte, rechnete er mit deren Beistand.
    Welchen Zweck sollte es für ihn, einen Knaben, wohl haben, zur Großen Jägerin zu beten oder zum Schwarzen Stein, der vom Himmel gefallen war? Das waren Gottheiten für Gebietende. Denen halfen sie, und vielerlei geboten sie ihnen, etwa das, den neugeborenen Knaben Arm und Hüfte auszurenken oder was sonst gut für Mädchen war. Oh, sie sind sehr klug, dachte Garp, auf diese Weise sind die Mädchen immer die Stärkeren. Aber . . .
    Sechzehn Mondjahre hatte Garp nun gelebt, und ganz unglücklich war sein Lehrer und Beschützer Wadd immer gewesen, wenn Garp so geredet hatte. Beide - Wadd und Garp waren mit vielen anderen Männern und Knaben Pferdepfleger im Gestüt. Doch es gab etwas, weshalb Garp so ganz anders dachte als diese vielen: Er konnte seine Rechte genauso rühren wie eine Gebietende, und auch das Hinken täuschte er nur vor. Er war ein nichtverkrüppeltes männliches Wesen. Niemand wußte es außer Wadd und ihm.
    Den Anlaß freilich zu dem Bruch mit dem Lehrer hatte Garps Flaum auf der Oberlippe gegeben. Seit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher