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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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Hand den Weg ins Leben ebnen. Pass also auf!! Der Träumer freut sich des zarten Bildes; der Künstler bläst ihm Odem ein und erweckt es zum Leben. Die Kraft, dies zu tun, macht erst den Träumer zum Künstler.
    Genug jetzt mit dem Ernst. Das Theaterstück »Der Raub der Sabinerinnen« kenne ich nicht. Aber was tut das? Ich drückte bloß auf den Knopf meiner unerschöpflichen Märchenmaschine und schon musste ich lachen über den komischen Direktor Striese. 7 Wer hat diese Rolle gespielt, lässt er Dich fragen? Was heißt das »ich bin Poe-müde«? 8 Man kann sich sicher an allem der Welt überfressen; deshalb frisst man nicht, sondern isst mit Maß. Dann kann einem nichts passieren. Aber schreibe mir darüber. Aber neue Gedichte möchte ich bald sehen. Aber vorerst erwarte ich mit Schrecken Deine Gegenkritik auf meine »Umdichtung« Deiner Verse. Jetzt seid 1000-mal umarmt und geküsst von Eurem Papa.
     
    Liebe Franzi! Folgende Bitten: 1.) beim Besuch ein Stück Seife (Genehmigung wie üblich) 2.) In Brief 2 – 3 blaue ungefütterte Briefumschläge legen. In nächsten Brief mehr! 3.) 1 Knetgummi!! Herzlichst PM

[6]
    (4.   5.   1942)
     
    Meine Lieben! Olle Mutiputibarra! Während ich Dir schreibe, bist Du bei Monika oder Eveline und schlägst Dir den Bauch mit Kuchen voll. Und dass ich dies so genau weiß, verdanke ich Deinem Meisterbrief der 1.) schön geschrieben war und 2.) alles enthält, was ich über Dich wissen will. Im nächsten Brief schreibst Du mir über Kuhn und Tatjana 9 und dann hast Du mich wirklich glücklich gemacht. Aufwiederhören!!
    Lieber Pila! Ich habe mich sehr über Deinen Brief gefreut, es wäre aber noch schöner, wenn Du statt Reihm REIM schriebest und statt were WÄRE (von war). Aber sonst!!!! Recht anregend und voll Witz ist Deine Art der Diskussion, wobei Deine Kritik am Vergleich »Kind und Gedanke« etwas weit geführt ist. (Man kann zwar sagen »Deine Augen sind blau wie das Meer«, man darf aber dann nicht gleich nach Dampfschiffen und U–Booten suchen.) Der zweite Vergleich mit dem Modellierton ist sogar so verblüffend, dass mein Freund und ich bis spät in die Nacht hinein daran herumdokterten, bis wir ihn an den richtigen Platz weisen konnten. Du rührst hier nämlich an die schwierigsten Gebiete des Denkens, bei denen sich schon mancher Fachmann die Zähne ausgebrochen hat. Bevor ich aber Deine Gedankenschleichwege aufkläre, will ich, so klar es geht, den Schöpfungsprozess (den menschlichen natürlich) aufzeigen: Von außen hereinströmend (Liebe, Schönheit etc.) odervon innen entspringend (Sehnsucht, Heimweh etc.), bemächtigt sich des Menschen ein
Gefühl!
Dieses Gefühl löst Gedanken aus, die ihrerseits dann wieder andere Saiten in Bewegung setzen, die dann zum Handeln oder ähnlichen Dingen führen können. Bleiben wir aber vorerst beim
Gedanken!
Diese müssen erst uns selbst verständlich sein. Verständlich ist Dir aber nur ein Mensch, dessen Sprache Du verstehst. Um Dich selbst verstehen zu können, musst Du also eine Sprache haben, die ihrerseits einen Wortschatz enthält. Es gibt also keine Gedanken, ohne das
Wort
, ohne die
Sprache!!
    Der Sprachunkundige
, oder ein Wilder wird seine Gedanken, Gedanken, die seine Gefühle beschreiben sollen, mit Lauten, Bewegungen und Wortbrocken uns zu übermitteln versuchen. Der
Sprachkundige
wird zwischen Gedanken und Sprache eine so gute Freundschaft errichtet haben, dass wir ihn ohne weiteres verstehen und ein Bild erhalten von der Art seiner Gefühle. Dem begnadeten
Sprachbeherrscher
dient die Sprache so völlig, so befreit von jeder Last, dass sie wie Musik wird! Dieser begnadete Sprachbeherrscher wird zum
Dichter
, wenn er uns Gefühle vermittelt, die zwar in seiner Seele geboren sind, aber uns alle angehen, der das Besondere zum Allgemeinen werden lässt und dessen Musik uns beschwingt und mitreißt!! Also jetzt zu Deinem Beispiel, wo Du den »Stoff« Deiner Dichtung mit dem »Ton« des Bildhauers vergleichst. Der Modellierton des Dichters
ist die Sprache
, die nicht dadurch zur Kunst wird, dass er sie zum Reimen zwingt, sondern, dass sie mit oder ohne die Musik des Reimesüber sich hinauswächst zu einem Etwas, das sie noch nie war, bevor der Künstler ihr seinen Odem einblies!! Durch diesen Brief habe ich Dir scharf die Grenze gezogen zwischen GEDICHT und KUNST. Das sinnvolle, gereimte Sprachgebilde ist Gedicht – Kunst wird es dort, wo es über sich herauswächst und uns alle ergreift!!
    Dein Zeugnis ist recht
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