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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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Liebe Franzi, Sie ahnen nicht, wie es michfreute, Sie gesehen zu haben, doch macht mich Ihre Traurigkeit so traurig! Hören Sie zu:
    Wir sprachen mal davon, was das Leben ist? Es ist eine Aneinanderreihung von Verantwortungen, eingerahmt in Ängste. Verantwortung = Pflichterfüllung mit Weitblick für die Zukunftskonsequenzen. Solche Pflichten hat man sich, seiner Familie und Freunden gegenüber, dem Staat, der Gesellschaft und seiner Arbeit gegenüber. Die einrahmende Angst ist die Furcht, dies nicht alles restlos erfüllen zu können, und ist notorische Triebfeder des Handelns. Erlangte Harmonien dieses Handelns sind das »Glück«. Ist nun von außen her das Handeln unmöglich geworden, hören die Pflicht, die Verantwortung und damit das Leben auf? Komische Schlussfolgerung! Und irgendwo falsch! Ich kannte einen Mann, der nach verschiedenen finanziellen Schiffbrüchen am Ende seines Rates war, und als der Weltkrieg ausbrach, glücklich zu den Fahnen eilte nicht nur aus Patriotismus, sondern beschwingt durch die enthobene individuelle Verantwortung vor der Zukunft. Ich traf Menschen, die im Leben wie Hasen gehetzt und gejagt wurden und aufatmeten im Gefängnis, weil dort Ruhe war. Also hört das Leben mit dem Aufhören der individuellen Verantwortung nicht auf, sondern wird nur
unwirklich
! Solange man handelt, gibt es z. B. Glück und Unglück, man sagt, man sei seines Glückes Schmied, ja es gibt sogar Leute, die sagen »Glück ist eine Eigenschaft«. Wenn die Handlungsfreiheit aber aufhört, was tut dann das Glück? Es wird zu »Glücksfällen«, entzogen aller unserer Einflüsse, also
unwirklich
! Ein Mensch kann einen Wagenschieben, wenn es sein muss sogar zwei, der Riese schiebt drei
.
Dazu muss er aber außerhalb des Wagens stehen, also im Leben. Ist er aber
im
Wagen, so nutzt ihm seine Kraft nichts, wenn auch der Wagen kinderleicht ist. Seine Kraft ist nach wie vor da, sie wirkt aber nicht mehr, sie wird
unwirklich
! Dieses Leben der Unwirklichkeit führe ich jetzt samt seinem beschaulichen »unwirklichen« Glück. Alles, was handeln kann, ist in mir gebunden, nur mein Geist und meine Fantasie schweben über alles hin.
    Doch gab mir Gott einen Arm zum Handeln, nicht für mich, sondern für die Kinder, gab mir also großes Glück. Und dieses Glück sind Sie. Und Sie werden handeln, bis ich wieder da sein werde.
    Herzlichst PM.

[4]
    (ohne Datum)
     
    Meine Lieben! Zuerst habt Dank für Euren Osterbrief. Ich habe mich riesig damit gefreut. Barra ist wie immer meine richtige »Olle« und in den paar Zeilen sagst Du nicht nur, was es wichtiges in dieser Welt gibt, sondern zeigst ganz genau, wie Du selber bist. Nur würde ich mich noch mehr über Deine Tintenbriefe freuen, wenn die Buchstaben alle so: /////// und nicht so: /\\/\/\\ liefen! Also bis zum nächsten Mal. Und Pilusch, Du mit Deinem Riesenbrief! Ich sehe, dass wir Deine Tagebuchform des Briefes nicht werden aufrechterhalten können, sonst hinkst Du mir immer fünf Wochen nach. Machen wir es so: entweder beschreibst Du mir nur die »großen« und »wichtigen« Tage, oder Du machst einen großen Sprung und beschreibst mir nur immer die vorangegangene Woche. Zu Deinem Brief. Als erstes: Mein Freund, dem ich alles Ungeschriebene wunschgemäß sagte, lässt Dich herzlich grüßen. Wir haben Deinen Brief gemeinsam gelesen und seinen Inhalt sehr gründlich durchgesprochen. Darüber will ich Dir jetzt schreiben. Was Du über die innere Entstehung Deiner Gedichte sagst, das verstehe ich gut und glaube, dass jede schöpferische Äußerung des Menschen, aus dem Traumbild der Phantasie geboren, seinen Weg nach Außen nimmt. Es ist eine Kraft in uns, die zur Geburt treibt. Lebensfähig ist diese Geburt, genau wie das Kind, erst dann, wenn es lange genug »getragen« wurde, reif geworden ist – in unserem Fall also – Form angenommen hat. Ein Gedanke kann unreif,halb oder ganz reif aus unserem Inneren an das Tageslicht kommen; ist fast ohne Verpflichtung. Das Gedicht aber ist die höchste Verbindung zwischen Inhalt und Form, so stark, dass sie ineinander verschmelzen, d. h. eins werden. Ein Gedicht ist Musik und Rhythmus gewordener Gedanke. Denn die Form, Reim und Rhythmus sind die Unterstreichung des Gedankens, die sieghafte Bemeisterung der Sprache, die Flügelgeber der Gedanken. Weh dem »Dichter«, der zu seinen Reimen die Gedanken sucht!!
    Pass also auf, Alter. Über die Musik mit a – a, b – b oder a – b, a – b haben wir schon gesprochen. Auch über
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