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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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    (ohne Datum)
     
    Meine Lieben! Wie habe ich mich mit Eurem Brief gefreut! Franzi wollte wohl Tinte sparen und schrieb nicht, dafür war aber Barras Tintenbrief die große Sensation. Für Deinen Brief, Pila, muss ich extra danken! Auch will ich auf ihn näher eingehen, auch auf Deine Gedichte. So ein tagebuchartiger Brief ist für mich die einzige Form, in der ich etwas mitzuerleben fähig bin, und Du weißt, dass ich nur Geschichten liebte, die so begannen: »also, wir sind aufgestanden … etc.«
    Diese Form beherrschst Du meisterhaft, und ich hoffe, dass ich recht bald den zweiten Teil bekomme. Auch über Barras Auftreten, da ich keinen Bericht bis jetzt darüber habe. Im Brief wie im Gedicht klingt eine gewisse Wehmut, die zu beherrschen Dir nicht ganz gelingt. Ich weiß, Du hast es nie leicht gehabt und empfindest die jetzige Trennung von mir schmerzlich. Dazu ist kein Grund, denn geistig sind wir bei einander, und ein anderes Beieinandersein gibt es nicht, wenn man den Dingen auf den letzten Grund geht. Also Kopf hoch, was auch geschieht, es lebe das Familienlied. So bin ich selbst zum Reimen gekommen, was mich gut zu Deinen Gedichten überleitet: Also! Dein Gedicht ist sehr schön, die Stimmung echt, ja sogar so echt, dass ein Freund von mir (über den ich noch schreiben werde) beim Lesen des Gedichtes sagte: »Eine Stimmung wie in Zingst«. Nur spielst Du etwas viel mit Worten, treibst Wortakrobatik, hast zu viele Farben auf der Palette, bist zu reich und verlierst vielan Klarheit. Das Gedicht II (Alltag) gut im Schwung, inhaltlich etwas müde und enttäuscht für Deine 11 Jahre, geht so weit, Worte zu erfinden!! Was ist »Grunden«?? Es reimt sich zwar auf verschwunden, aber das ist auch alles. Das Wort am Ende des Gedichts gibt ihm Inhalt! Wenn ein Satz l00 Worte hat, davon sind 99 sinnvoll und das letzte sinnlos, so fällt das ganze Gebäude zusammen. Also mein Alter! Etwas zurückschrauben auf die Klarheit der Zeit, wo Du noch schriebst »Doch unsere Liebe, die hat Räder etc.« Über mich selber: es geht mir gut, das verdanke ich zum Teil dem Freund, den ich vorhin schon erwähnte! Stellt Euch vor: ein lebendes Märchenbuch. Seien es fremde Länder der ganzen Welt, seien es Gedichte oder Gedanken aller Zeiten, man muss nur antippen an dieses Wunderwerk und schon sprudelt es aus seinem Mund in tausend Farben, unendlichen Formen, greifbar, riechbar, wunderbar! Ihr könnt Euch nun denken, dass ich nicht nur antippe, sondern richtig davon melke und mich satt trinke an all den Dingen, die ich noch nicht kannte! Sonst habe ich recht viel zu tun, aber auch Zeit zum Lesen. Habe jetzt Dickens gelesen und lese jetzt einen dicken Amerikaner von l200 Seiten. Schreibt mir recht bald viel u. lustig.//Freitag habe ich Franzi vergeblich erwartet! 14 Tage waren um.//Von mir werdet Ihr alle 2 Wochen Nachricht haben, aber schreibt Ihr mir wöchentlich! Seid alle 3 umarmt von
    Papa
     
    Schickt mir Fotos von Euch!! Beinahe vergessen! Fröhliche Ostern! Mit viel Eiern und Küssen von mir!

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    (ohne Datum)
     
    Lieber Pila u. Barra! Heute ist Ostermontag und natürlich denke ich an Euch! Herrgott, welch Glück daran zu denken, wie schnell die Zeit vergeht! Wisst Ihr noch wo wir vor einem Jahr waren? In Siebischau. 5 Es kommt mir vor, als ob es vorige Woche wäre, als Pila in Obernigk in den Zug stieg, und ich sehe das freche Gesicht der Barra, mit dem sie uns empfing und uns ihr »Schloss« zeigte, um dann bald zu verschwinden und sich recht wenig um uns arme Fremde zu kümmern. Alles weiß ich noch. Die erste Nacht, das erste Essen. Und das soll schon ein Jahr her sein? So vergeht eben jede Zeit, auch die, die mich von Euch trennt. Nachher ist alles wie im Traum: Kurz und unwirklich.
    Ich lese jetzt ein tolles Buch: Antonio Adverso. 6 l200 Seiten groß, spielt in der ganzen Welt, glitzert von Farben und tausendfältigem Leben. Das Leben eines Mannes von Mut, der vor nichts Gewagtem zurückschreckte und seinen Weg ging. Seinen Weg? Ich glaube immer mehr, dass es das nicht gibt; alles ist vorgezeichnet und alles Gute wie auch das Böse hat seinen Platz in diesem Gesamtbild, das wir Leben nennen, und in dem wir nur kleine Bausteine sind. Ich sehe Pila vor mir, wie er wieder lacht! Über seinen predigenden Vater. Wenn ich schreibe, falle ich immer in diesen Ton, wenn ich aber bei Euch wäre, säßet Ihr auf meinem Schoß eingehüllt in unendlich vielen Küssen von Eurem Papa. Schreibt mir bald. Ich habe erst einen Brief.
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