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Papierkuesse

Papierkuesse

Titel: Papierkuesse
Autoren: Pali Meller
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5. in der Hand und dachte darüber nach, was sich wohl in Pila »innen« abspielt, während er von außen nur berichtet, »es war nichts los«. Im selben Augenblick, dass ich so dachte, saßest Du in der Knobelsdorffstraße und schriebst mir die Antwort. Ist das nicht köstlich? Sieht fast nach Gedankenübertragung aus!! Jetzt noch etwas, wasmich beschäftigt! Es ist jetzt endlich Frühling geworden – und was für ein Frühling. Heute stehen die Obstbäume hier in voller Blüte, wo man vor einer Woche an dies ewig wiederkehrende Wunder noch nicht zu glauben wagte. Die Rosskastanien zeigen ihre Weihnachtsbaumblüten, klein und rötlich noch – in acht Tagen vielleicht schon ebenso stolz erblüht wie die Obstbäume heute. Herrlich schön! In dieser Zeit musst Du so viel wie möglich im Freien sein, zu Fuß oder zu Rad. (Ihr werdet doch endlich eine Pumpe »gefunden« haben!) Deine und Eure Spaziergänge
müssen
über die Hölderlinstraße hinausgehen (wobei Fam. Poe. sich auch etwas erholen wird von Eurer allzu großen Liebe) – denn etwas mehr Sport muss das Gleichgewicht halten zu meinem »Dichtersohn«, der es in Leibesübungen nur auf eine 5 zu bringen vermochte. Das höchste Ziel im Leben, wie in der Kunst, ist das Gleichgewicht zwischen der Erscheinungsform des Geistes und des Leibes. Und genau so, wie ich einen hohlköpfigen, hühnerhirnigen Muskelberg verachte, erweckt ein bizepsloser schlaffarmiger Weichheini, dessen Seele in den höchsten Regionen des Geistes schwebt, mein Mitleid! Alle Aufgaben, die das Leben uns stellt, müssen gelöst werden, alle Hindernisse genommen werden, und diese haben nun mal die Eigenschaft, wahllos mal an unseren Geist, mal an unseren Leib heranzugehen! Du weißt, wie wichtig diese Erkenntnis gerade für Dich ist. Halte Dich daran! Es sei auch von außen »etwas los«! Angriffsrichtung sei Dein Körper.
    17.   5.   42. Meine Lieben! Durch schlechte Postverbindungen ist mein Brief nicht abgegangen, und wahrscheinlich werde ich von nun an nur alle 14 Tage schreiben können. Desto wichtiger ist mir Euer Wochenbrief. Inzwischen hat sich viel ereignet: Das Wunder der Baumblüte ist schon vorbei – ein heftiger Sturm treibt die Blütenflocken durch die Lüfte. Ein ausgeträumter Traum. Dafür haben die Kastanienbäume an der Südseite bereits ihre weißen Kerzen auf die Weihnachtsbaumblüten gesteckt und die weiten Wälder, die bisher wie Kulissen mit grünen Rändern sich hintereinander reihten, verschmelzen in ein einheitliches Grün. Aus dem Boden dringt der Keim unserer zukünftigen Nahrung. Dann erhielt ich Eure Bilder!! Eine unaussprechliche Freude! Sie stehen den ganzen Tag vor mir und überraschen und erheitern mich ohne Unterlass. Ich stelle mir die Bilder in verschiedenen Reihenfolgen auf und wandere mit den Blicken von Kopf zu Kopf. Jetzt stehen sie z. B. so, dass erst Pila in die Ferne guckt, etwas zweifelnd, aber doch vertrauend, dann Barra schwer den Mund beherrschend, um nicht zu sagen, »was seid ihr doch komisch«. Dann wieder Pila wirklich lachend, beim Anblick zum Lachen zwingend; ich höre, wie er eben sagt: »guut!!« Zuletzt wieder Barra – ganz Tänzerin und Dame, würdige Schülerin Tatjanas; eine kleine Königin, die von oben auf das »Volk« guckt. Dieses Spiel lässt sich durch Umstellen beliebig wiederholen. (Franzi soll Oma und meinem Vater solche Bilder schicken. Kleine genügen.) Das letzte Ereignis war Euer Brief vom lo. 5. 42.
    Meine süße kleine Wunderalte! Nicht nur, dass Dumir auf meinen Brief, den Du noch gar nicht hattest, antwortest, sondern die wunderbare Form und Deine Schrift ließen mich das Maul aufreißen, und ich musste ihn mit Kraft wieder schließen, sonst stünde er jetzt noch offen. Mach weiter so, Malakista, und Du bringst es noch weit in dieser Welt! Unendliche Extrapussis von Papa.

[10]
    Berlin Plötzensee
    den 31. Mai 1942 Haus III
     
    Meine Lieben! Geliebte, süße Barramutti! Vielen Dank für Deinen Brief (er war zwar sehr schön, wenn auch nicht so schön wie der Vorige) – aber ein wenig faul seid Ihr doch gewesen, denn ich habe Euren Brief vier Tage später erhalten als sonst, und so saß ich zu Pfingsten ohne Nachricht von Euch da. Aber wenn ich daran denke, dass Ihr jetzt schöne Radtouren macht, so ist es mir sogar lieber, noch vier Tage länger zu warten, wenn Ihr nur jeden guten Sonnenstrahl mitkriegt. Denn ein bißchen komisch ist dieser Sommer – Regen, Blitz und lauter Donner! Wenn Du Deine Freundin Gisela
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