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Die Frau die nie fror

Die Frau die nie fror

Titel: Die Frau die nie fror
Autoren: Elisabeth Elo
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Kapitel 1
    E r war ein Verlierer«, lallt Thomasina mit hängendem Kopf. »Aber ein guter Verlierer.« Die Flasche Stolichnaya hat sie in eine unangenehme, aber auch versöhnliche Stimmung versetzt. Ich könnte jetzt selbst ein paar Kurze vertragen, um meine Trauer und die Schuldgefühle zu betäuben, dass ich überlebt habe. Aber einer muss nüchtern bleiben, für Noah.
    Thomasina grapscht nach etwas, das sie in der Luft sieht – vielleicht nichts, ein halluzinierter Funken, ein Staubkorn –, und ihre Stimme wird tonlos und matt. »Ich habe ihn nie geliebt. Ich wollte nur Sperma.« Sie schiebt die Flasche halb über den Küchentisch und legt den Kopf auf die verschränkten Arme. Ihre Schultern heben und senken sich ein paarmal. Trauer? Übelkeit? In ihrem Zustand könnte es beides sein, oder auch nur ein gleichgültiger Schluckauf. Doch als sie das Gesicht hebt, ist es verheult. »Aber ein bisschen muss ich ihn geliebt haben, denn im Moment fühle ich mich übelst beschissen.«
    Noah steckt den Kopf um die Ecke. Er hat weder das schwere, kantige Aussehen von Ned noch Thomasinas eindringliche Bilderbuch-Schönheit aus jüngeren Jahren. Er ist klein, dünn, blass. Mit den dunklen Augenringen wirkt er fast wie ein Mönch. Er redet nicht viel, hat keine Freunde. Vielleicht kommen wir deshalb so gut miteinander aus.
    »Noah, Baby. Mama macht dir jetzt was zu essen.« Thoma­sina steht unsicher auf und schwankt zum Kühlschrank. Als sie die Tür öffnet, sehen Noah und ich hinein. Gatorade Limone, eine halbe Tomate, schimmelige Hamburger-Brötchen. »Möch­test du ein Tomaten-Sandwich, mein Baby?«
    »Nein, danke«, sagt Noah. Er ist schon immer höflich gewesen. Er schlendert zurück ins Wohnzimmer, um sich wieder in die knifflige Aufgabe zu vertiefen, mit der er eben beschäftigt war. Ich habe ihn schon ganze futuristische Städte aus Zungen­spateln, Eisstielen und Zahnstochern bauen sehen.
    Thomasina schwankt immer weiter ausholend, dann beginnen sich ihre Augen zu verdrehen, die Lider flattern und schließen sich. Sie gleitet am Kühlschrank hinunter und bricht auf dem Boden zusammen. Ich hebe einen ihrer Arme um meinen Hals, ziehe sie hoch und schleife sie über das abgewetzte Li­noleum in das feuchtkalte Schlafzimmer im hinteren Teil der Wohnung. Der Boden ist zugemüllt mit Klamotten und Schuhen. Ich erkenne die Cowboystiefel aus Echsenleder, die sie abends zum Ausgehen anzieht. Ich lasse Thomasina auf das breite Doppelbett fallen und schiebe ihre Beine auf die Ma­tratze.
    Der Sturz bringt sie wieder zu Bewusstsein. »Du musst ihm erklären, wie’s passiert ist, Pirio«, murmelt sie. »Er vertraut dir. Er liebt dich. Und keiner weiß besser, was er sagen soll, als du – du bist ja dabei gewesen .« Sie dreht den Kopf zur geschlossenen Jalousie. »Weißt du noch, damals, als wir zwei kleine Mädchen waren, um die sich keiner gekümmert hat?«, fragt sie trübsinnig. »Da haben wir uns eben selbst um uns gekümmert. Es war super, aber wir waren so traurig. Waren wir doch, oder, Pirio?«
    »Wir sind klargekommen«, sage ich energisch und versuche, sie von dem Kaninchenbau alter Qualen wegzulotsen.
    »Ist es zu fassen, Pirio? Ich glaub’s einfach nicht. Ned tot. Hey, das hat beides drei Buchstaben! Jetzt hat Noah keinen ­Vater mehr. Mein Baby ist Halbwaise. Der arme kleine Junge.«
    Ich sage nichts. Ich kann’s auch nicht fassen. Ich würde alles tun, um es ungeschehen zu machen. Ich frage mich immer wieder, was ich hätte tun können, finde aber keine Antwort. Niemand hätte ihn retten können. Abgesehen von den Feiglingen auf dem Schiff.
    »Willst du wissen, von wem ich letzte Nacht geträumt hab?«, fragt Thomasina sinnierend. Manchmal bin ich eifersüchtig darauf, wie die Sauferei ihrer Phantasie erlaubt, durch wirklich jede Gasse und Seitenstraße zu irren, die sie erspäht. »Vom größten Arschloch aller Zeiten . Du weißt, wen ich meine. Du und ich, wir sind wie zwei Eier, ein Ei wie das andere. Egal. Hast du Eier?« Sie legt zwei Finger auf die Lippen, zensiert sich selbst. »Ups. So hab ich’s nicht gemeint.« Die Hand plumpst von ihrem Mund, und die Lider beginnen wieder wie verrückt zu flattern. »Rate, Pirio. Ich wette, du kommst auf Anhieb drauf. Das größte Arschloch aller Zeiten war … Es war …« Ihre Stimme senkt sich zu einem Flüstern. »Es war …« Ihre Augen schließen sich.
    »Es war Dickhead Bates«, sage ich leise.
    Ich schiebe ihr einige Kissen unter Kopf und
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