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Aussortiert

Aussortiert

Titel: Aussortiert
Autoren: Helmut Krausser
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    Vorspiel
    In einer Garage
    Die Frau in der Limousine
     rauchte und sah unzufrieden aus. Der Chauffeur hatte ihr gerade Feuer
     gegeben und war dabei, den Wagen zu starten, als sie mit dem Finger
     schnippte und ihn bat, noch zu warten, sie habe etwas mit sich abzumachen.
     Der Chauffeur erkundigte sich, worum es denn gehe, sie wirke so mißmutig,
     ja wütend. Die Frau gab zur Antwort, sie sei auch wütend und würde
     gerade darüber nachdenken, wie es wäre, diesem Kerl – sie
     nannte keinen Namen – das Maul zu stopfen. Der ›Kerl‹
     sei außer Kontrolle geraten, sei ein unnötiges Risiko. Der
     Chauffeur beugte sich nach hinten, hob die Brauen und meinte, daß
     sowas eine gefährliche Sache sei, eine äußerst gefährliche.
     Der ›Kerl‹ sei mächtig und außerdem Deutscher.
     Ihn auszuschalten verstieße rabiat gegen die bisherige Geschäftspolitik,
     die sich, er nahm einen etwas ironischen Tonfall an, in all den Jahren bewährt
     habe. Wenn der ›Chef‹ dahinterkomme, habe das für ihn
     – er meinte sich, nicht den ›Chef‹ – strengste
     Konsequenzen.
    Sie wisse das, gab die Frau
     zur Antwort, sie wisse das sehr gut, aber es sei ihr scheißegal. Ihr
     Gatte dürfe davon einfach nichts erfahren. Sie habe sich da etwas
     überlegt, und was sie sich überlegt hatte, teilte sie nun dem
     Chauffeur mit, in einer Weise, die deutlich werden ließ, daß
     der Chauffeur weit mehr war als nur ihr Chauffeur. Er pfiff, nachdem er
     sich den Vorschlag angehört hatte, leise und hörbar überrascht,
     gleichwohl auch anerkennend und sagte, daß das vielleicht
     funktionieren würde. Die Frau erkundigte sich, ob er sich auf seine
     Leute in so einem Fall verlassen könne. Besser wäre es bestimmt,
     wenn sie – jene nicht näher benannten ›Leute‹
     – die ›Sache‹ nicht groß bequatschen würden,
     selbst untereinander nicht. Der Chauffeur, der ihr jetzt die Hand
     abzulecken begann, murmelte lächelnd, ›die‹ –
     gemeint waren wohl jene ›Leute‹ – fräßen
     ihm bereits aus der Hand, so wie er nun ihr.
    Dann, so halb schloß,
     halb fragte die Frau, wobei ihre Oberlippe vor Anspannungen diverser Art
     zu zittern begann, sei die ›Sache‹ nun spruchreif?!
    Der Chauffeur bejahte und
     brummte mit seiner rauhen, tiefen Stimme ein Kompliment, das ihrer Schönheit
     ebenso galt wie ihrer erstaunlichen Phantasie. Beide drückten sich
     gern so diffus wie möglich aus, da zu befürchten stand, das
     Wageninnere könne verwanzt sein. Zur Vorsicht lief Gitarrenmusik
     über alle sechs Boxen der Surroundanlage.
    »Gut. Dann laß
     uns fahren!« Auf einen Knopfdruck hin hob sich das schwere,
     stahlgepanzerte Garagentor.

 
    1
    Als Bernd Zisska, ein kurz
     vor der Pensionierung stehender leitender Angestellter, durchs Drehkreuz
     des Charlottenburger Pornokinos trat, gewöhnten sich seine Augen nur
     langsam an die Dunkelheit. Der kleine Gayroom war leer, wie gewöhnlich
     um die Mittagszeit an einem Werktag. Den Heterofilm im größeren
     Kino sahen sich drei voneinander möglichst weit entfernt sitzende Männer
     an, alle irgendwo zwischen fünfzig und siebzig. Keiner nahm Notiz von
     Zisska.
    Junge Gierschlünde beim
     Dreilochparcours. Der Streifen hielt sich nicht mit Geplänkel auf,
     legte keinen Wert auf psychologisierende Vertiefungen. Höhepunkt
     folgte auf Höhepunkt. Man konnte der Handlung auch als Späteinsteiger
     problemlos folgen.
    Zisska setzte sich in die
     vorletzte Reihe, öffnete Gürtel, Knopf und Reißverschluß
     und wartete, ob die Bilder kraftvoll genug sein würden, eine Erektion
     auszulösen, ohne daß er mit der Hand nachhelfen mußte.
     Sie waren es nicht. Die Darsteller sahen nach einer Billigproduktion aus,
     unter Bedingungen dänischer Dogma-Filmer gedreht, die Dialoge klangen
     geschmacklos bis hirnverbrannt.
    Manchmal, leider sehr selten,
     verirrte sich ein Pärchen ins Kino, und egal wie alt oder häßlich
     es war, ihm zuzusehen bot stets weit mehr Erregung als die Filme, die
     gezeigt wurden.
    Zisska war Stammgast, fast
     jeden zweiten Tag verbrachte er hier die einstündige Mittagspause, er
     hatte die seltsame Angewohnheit, beim Masturbieren nachzudenken, die
     Ereignisse des Vormittags Revue passieren zu lassen, und der Orgasmus, den
     er schließlich erreichte, den er sich oft mühsam abrang, half
     ihm, seinem belanglosen Alltag etwas Lust vorzutäuschen. Zisskas
     Kollegen aßen zu Mittag in der Firmenkantine, er hingegen mußte
     Diät
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