Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter
Autoren: Felix Timmermans
Vom Netzwerk:
,Träumerei’ von Schumann. Es war wie ein Gebet. Der Pastor betete mit seiner Musik. Als es aus war, blieb eine lange Stille. Es schien Pallieter eine Sünde, in dieser duftenden Stille seine Stimme sprechen zu lassen; aber er stieß einen großen, tiefen Seufzer aus. Der Pastor sah auf und fragte: »Ist jemand da?..«
    »Ich!« sagte Pallieter.
    »Dann kommt schnell herein!« Und er kam rasch herangelaufen und öffnete das Gittertürchen, das nur aufgemacht wurde, wenn die Magd Wasser schöpfen mußte. »Es war so ein feines Wetter heute,« sagte der Pastor, »und ich sitze nur so da und streiche mein Cello; kommt herein!«
    »Ich habe einen andern Gedanken,« erwiderte Pallieter, »nehmt Euer Cello mit in den Kahn, und wir wollen spielend eine Fahrt nach dem Park von Ringen machen!«
    »Angenommen!« sagte der Pastor, und er kam mit dem Instrument in den Kahn. Sie fuhren wieder in die Nethe, und als die offenen Felder um sie herum lagen, begann er wieder zu spielen, während Pallieter ruderte und Mariechen steuerte.
    Das Cello sprach; es war innig wie eine singende Menschenstimme, es klang wie aus der Wassertiefe in die Höhe. Es trug die Feinheit des Himmels und die Jugend des Lenzes in sich. Es war Beethoven, Benoit, Wagner, Palestrina und Grieg. So trieben sie schön wie im Traum über das Wasser, und über das nächtliche, stille Land zog der Klang der herrlichsten Musik der Erde. Es war, als ob Gott den Fuß auf die Welt gesetzt hätte.

 
     
     

Die Fruchtbarkeit
     
    Der schöne, gute Mai hatte nun endgültig seinen Glorienschein in die Bäume gehängt und seinen Reichtum auf dem Boden ausgebreitet. Die majestätischen Kastanienbäume, die so mannigfach im Netheland wachsen, hatten schon weiße Blüten auf ihrem grünenden Berg angesteckt. Und Kerzen brannten in den Feldkapellchen zu Ehren Unserer Lieben Frau.
    Mariechen hatte mit ihrer Mutter, die gekommen war, um als Hebamme zu dienen, und mit Charlot jeden Tag in einem dieser Kapellchen um einen günstigen Ausgang gebetet, und inzwischen wuchs die Frucht schnell und ungeheuer. Aber die Tage gingen vorbei, und gegen Ende Juni, zum Mondwechsel, konnte man es erwarten.
    Eines Tages kam Pallieter aus Duffel zurück, wo er bei einem Wagenbauer einen Planwagen bestellt hatte, mit dem er in die Welt hinausziehen wollte, wenn der Kleine geboren war. Die Junisonne triumphierte am blauen Himmel und schüttelte ihre goldenen Haare über die üppigen Lande.
    Pallieter schlenderte an der Nethe entlang.
    Ach! der schöne Fluß, der sich jetzt noch frei und launisch durch die fetten Felder und die kühereichen Wiesen buchtete, der auf seinen Deichen riesige Pappeln und breite Kiefern in die Höhe streckte: die herrliche, angenehme Nethe sollte nun in einen kalten, geradlinigen Kanal verwandelt werden.
    »O Land! Sie nehmen dir deine Krone!« seufzte Pallieter, »das Herz schreit mir im Leibe.«
    Doch aus der Ferne klang wiederholt Tuten auf einem Blechhorn.
    »Das is Charlot, die bläst zum Kindbett!« jauchzte Pallieter, und er zog die Holzschuhe aus und fing an zu laufen, so schnell er konnte. Das Tuten klang immer weiter, drehte sich von Osten nach Westen und wollte gar nicht aufhören. Pallieter beeilte sich desto mehr. Er fluchte, weil es nicht schneller ging; aber da grasten zwei Pferde auf der Weide, und im Umsehen war Pallieter auf ein erschrockenes Tier gesprungen, packte es an der Mähne und raste schnell über Feld und Wiesen nach dem ,Reinaert’.
    Als Charlot Pallieter ankommen sah, ließ sie das Horn fallen, lief ihm entgegen und schrie blaß vor Aufregung: »Vetter, Vetter, es sind Drillinge! Zwei Buben und ein Mädchen! Erst kam...« Pallieter ließ sie weiterschwatzen und lief vor ihr her die Treppe hinauf. Er riß die Tür auf, und da auf dem Bett, aus dem Mariechen blaß, mit Tränen in den Augen, ihm zulachte, lagen nebeneinander drei Kinder, nackt und ferkel-rosa, krähten und schrieen.
    Die Sonne bündelte durchs offene Fenster darauf und zitterte leuchtend auf ihrem zarten Fleisch.
    Pallieter stand erst wie angenagelt, er konnte seinen Augen nicht trauen, es überwältigte ihn. Mariechens Mutter und Charlot wußten keinen Rat, die eine platschte mit Wasser, die andere warf einen Eimer um und kratzte sich am Kopf. »Bist du zufrieden?« fragte Mariechen.
    Da strömte Pallieters Freude über, er lief auf sie zu, küßte sie tausendmal und sagte: »Abraham muß mich beneiden!« Und dann rief er Charlot ausgelassen zu: »Holt Paten, Wiegen und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher