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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter
Autoren: Felix Timmermans
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lag da offen und bloß unter Gottes großem Himmel, von dem Himmel hing alles ab. Der Himmel voll von Tod und Leben, Böse und Gut, Feuer und Eis, Hitze, Sonne und labendem Wasser.
    Und sie beteten untertänig, als Mittler für die sprachlose Saat, die Bäume und die Frucht: »Herr, erhöre mein Bitten mit Deinen Ohren, nimm mein kläglich Bitten in Deine Wahrheit, erhöre mich in Deiner Gerechtigkeit... denn der Feind hat meine Seele verfolgt, er hat meine Seele bis in die Erde erniedrigt.«
    Es war das Flehen der Frucht und des Samens und der Bäume nach dem langen Winter, dem Feinde: »Er hat mich ins Dunkel gestellt, wie die Toten der Erde. Um Deines Namens willen, Herr, willst Du mich lebendig machen. Du wirst meine Seele aus ihrer Qual erretten und meine Feinde vernichten. Du wirst alle vernichten, die meiner Seele schaden, denn ich bin Dein Knecht!«
    Das Gebet der Gewächse des Feldes! Der Wind tanzte über die Erde und nahm die Worte auf. Die Mutter Gottes und der ganze leuchtende Reigen der Engel und der Heiligen, die den Himmel erhellen, die die Macht haben, den Donner aufzuhalten, Gewässer stehen zu lassen und den Wind zu drehen, all die heiligen Jungfrauen, Märtyrer, Päpste, Sünder, Apostel und Jünger bis zu den tausend unschuldigen Kindern, sie werden alle zu Wächtern bestellt über die Menschen, das Vieh und die Frucht und die Bäume.
    Und immer wieder klang die Melodie von schweren »Ora pro nobis!« und »Ora — Orate pro nobis!« Pallieter betete innig mit. Er war voll Licht und Leben. Es krachte in ihm von geistiger Wollust. Er hätte Fahnen schwenken und im Winde rollen mögen.
    Das Beten war ihm zu still, und er erhob seine Stimme und sang mit, so laut er konnte, mit den Priestern: »De profundis clamavi ad Te, Domine!«
    Und als die Prozession durch die Felder gezogen war, ritt er weiter in die schöne Landschaft hinein.
    Es war herrlich, all das blühende Weiß auf den Bäumen! »Es ist die Muttermilch der Erde, die heraufsteigt und überläuft«, sagte Pallieter. »Die Sonne wird Butter davon machen!« Der große, frohe Wind sauste durch die Luft und brummte in den Bäumen. Er schüttelte dem Pferd die Mähne und den Schwanz und riß Pallieter die Mütze vom Kopf, daß sie aufflog wie ein Vogel und in das glitzernde Nethewasser fiel.
    Doch Pallieter drehte sich nicht um, er ritt immer weiter, wild und toll ohne Zügel, um die ganze Gewalt des jung machenden Windes über sich hinwehen zu lassen. Männlicher Genuß! Fern zogen die Kreuze, weiß und rot, über die blonden Wege, und die Mühlen schlugen überall Kreuze über das Feld, wie die Priester, und dort hinten wehte der Wind einem Bauernmädchen die Röcke in die Höhe, daß Pallieter ihre nackten, rosigen Schenkel sah. Die Sonne taumelte auf einmal aus den Wolken, und das gab den Farben des Feldes eine Sprache, daß alles redete und jauchzte!
    »Die Kreuze machen sich schon fühlbar!« rief Pallieter... Und noch am selben Abend hatte sich der Wind gelegt, und eine süße Schwüle kam über das Land, die Birnbäume begannen betäubend zu duften. Der Himmel war rein wie Kristall, die Sterne schienen klar in der jungfräulichen Bläue, und tief am Himmel hing die erste Sichel des wachsenden Mondes.
    Pallieter lehnte mit Mariechen noch aus dem Fenster der Schlafstube, sie waren schon halb ausgezogen, um schlafen zu gehen, aber die Süßigkeit der Nacht hielt sie aus dem Bett zurück.
    Mariechen legte ihren Kopf auf Pallieters Schulter, und er hatte den Arm um ihre Hüfte geschlungen.
    Sie schwiegen und lauschten auf eine Nachtigall, die allein in der Verborgenheit eines blühenden Kirschbaums ihr goldenes Herz erzittern ließ. Aber da ertönten, gar nicht als ob es auf einmal begonnen hätte, vom Beginenhof die tiefen, weichen Klänge eines Cellos.
    »Das is der Pastor«, sagte Pallieter.
    » Schade, daß der Beginenhof schon zu is «, meinte Mariechen. »Wart,« gab er erfreut zurück, »wir fahren mit dem Kahn hin, komm.«
    Sie zogen sich hastig an und stiegen in den Kahn.
    Durch den schmalen ,Hemdsärmelkanal’ trieben sie nach dem Beginenhof zu.
    Inzwischen erklang immerzu die süße, gefühlvolle Stimme des empfindsamen Cellos.
    Still fuhren sie, und an des Pastors Garten, der mit einem bewachsenen Gitter an das Wasser grenzte, hielten sie an und lauschten, im Kahn stehend.
    Der Pastor saß draußen unter einem blühenden Birnbaum. Im Dunkeln sah man nur seinen großen Kopf und seine bleichen Hände. Er spielte die tiefe
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