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Pallieter

Pallieter

Titel: Pallieter
Autoren: Felix Timmermans
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darf, kannst du mich mitnehmen bis ans Ende der Welt.«
    Und sie drückten sich einen langen innigen Kuß auf den Mund.
    Charlot rief sie, denn die Kinder kamen, und lachend hüpfte Mariechen ihnen entgegen. Pallieter blickte ihr nach und sagte: »Sie is meine Seele.«
    Aber da flötete eine Amsel in dem knorrigen Kastanienbaum und flog dann nach dem Wall zu. Die Bäume auf dem Wall waren braun von den Knospen und hingen voller Spatzengezwitscher. Im Garten standen die Birnbäume mit hellen Knospen, die jeden Tag aufbrechen konnten; die Pflaumenbäume ließen schon ein wenig Rosa sehen, die Pfirsichbäume prunkten in lichtroter, üppiger Blüte.
    Der Boden, der durch das Umgraben verjüngt war, hatte dort schon Milchsalat gegeben, und schon waren mancherlei Blumen aufgebrochen; auf dem Mühlenhügel gab es fettige, fleischige Hyazinthen und rund um den Springbrunnen hier und da sogar duftenden Goldlack. Die frischgeschnittene Hecke war blaßgrün.
    Pallieter erschrak über die Schnelligkeit, mit der das Leben schaffte. Es stand nie still, es wuchs und brütete immerfort und überall. Es brach aus der Erde, aus den Bäumen und dem Wasser; das Moos klebte sich auf die Steine und der Schwamm auf die Bäume, das eine auf das andere, gierig nach Leben und alles überwältigend in einem Rausch von junger Liebe, voll brennendem Verlangen, sich zu paaren und zu befruchten. Es war das frische Blut, das aufbrauste.
    Ein Entendreieck kehrte hoch am Himmel aus den warmen Ländern zurück, und auf einmal sprangen überall in Stadt und Dorf und Beginenhof die Osterglocken los und klangen und jubelten über die Welt die Auferstehung Gottes und des Lebens. Christus ist auferstanden!
    Die Glocken kehrten aus Rom zurück, und sie schwangen einen Regen von Eiern über die Welt. Das Land roch nach einer neuen Seele, der junge Lenz stand bereits in den Bäumen! Alles hatte Knospen, das Leben jubelte über den Tod. Es war die Auferstehung, die lebengebende Auferstehung! Und schmelzend vor Rührung küßte Pallieter die Erde.

 
     
     

Die Kreuze und die Segnung der Felder
     
    Das Wetter war wieder schlecht geworden, ganze Tage Land- und Platzregen, grau und traurig und dicht. Trotzdem schafften die Bäume eifrig weiter, nur aus eigener Kraft. Sie blühten doch! Und ein Baum nach dem andern hüllt sich in Brautgewänder, und die Blumen öffneten ihre Lippen, um all den Reichtum ihres Duftes auszusprechen. Die salbende Sonne blieb weg, und anstatt daß die Blüte aus dem Boden heraussprang, toll und wild und übermütig, gierig nach Licht und Leben, kroch sie heraus, langsam und vorsichtig.

     
    »Es wird sich bessern,« sagte Pallieter, »wenn sie die Kreuze übers Land tragen.« Denn sie sind es doch, die Kreuze, die die Pforten aufmachen für die schönen beständigen Tage und den großen Sommer. Alles schöne Wetter, das früher kommt, ist nur Schein und Betrug. Und ein jeder schaffte weiter, wußte, daß es nicht anders sein konnte, und wartete geduldig auf die Kreuze.
    Und gerade heute, als die Kreuze gehen sollten, war mit dem neuen Tag ein froher, starker Wind aufgestanden, der tanzend über die Erde fuhr und all die Wasserwolken vom Himmel jagte.
    Die Kreuze gingen. Pallieter und Charlot gingen mit. Pallieter ritt hinter der Prozession her und übersah so den Zug und das Land. Jetzt kamen sie in das offene Feld. Der Wind schlug die roten Fahnen nach vorn, spielte und drückte in die Röcke der Frauen und Priester und warf die lateinischen Gesänge wie Saat über die Felder auseinander.
    Der Himmel war silberig von hohen, weißen, aufeinandergestapelten Wurstwolken, die nach allen Himmelsrichtungen um die Erde zogen. Das Licht kam von den Wolken.
    Die Saat barst in der Erde.
    Und es klang auf lateinisch, es wehte in Brocken über die braunen Felder, über die schimmernden gelben Rübenblüten, an rot und weiß blühenden Bäumen und duftenden Gärten entlang: »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir; Herr, höre meine Stimme, laß Deine Ohren merken auf die Stimme meines Flehens. So Du willst Sünde zurechnen, Herr, wer wird bestehen?«
    Die roten Chorknaben klingelten mit der Schelle und schwangen den duftenden, blauen Weihrauch. Der Pastor in goldpurpurnem Chorhemd, über dem sein Glatzkopf glänzte, sprenkelte mit großen Gebärden das Weihwasser segnend über die ganze schöne, wachsende Gegend.
    Die Bauern und Bäuerinnen hielten den Rosenkranz und beteten halblaut für die Frucht, das Vieh und die Erde.
    Ihr ganzes Leben
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