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Tribunal

Tribunal

Titel: Tribunal
Autoren: Klaus Erfmeyer
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1.
    Dortmund. Ortsteil Syburg. Stephan Knobel folgte konzentriert Löffkes Wagen. Er seufzte. Warum hatte er sich überhaupt auf diese Sache eingelassen? Weil Marie dazu geschwiegen hatte? Die Straße wurde schmal und führte in engen Kurven steil hinunter ins Tal. Irgendwo hier in der Nähe, noch auf Dortmunder Stadtgebiet, sollte das Haus des Psychologen Paul Bromscheidt liegen. Bromscheidt hatte Stephans Sozius Löffke vor einigen Tagen in der Kanzlei angerufen, um ihn für einen Publikationsbeitrag zum Kulturhauptstadtprojekt zu gewinnen. Es gehe um Justiz und Gewissen‹, und so, wie sich Löffke aufgeplustert hatte, schien man ja geradezu darauf gewartet zu haben, sich auch in der kulturellen Öffentlichkeit seiner überragenden Kompetenz zu versichern.
    »Bromscheidt wird alle Fragen beantworten«, hatte Löffke kryptisch knapp beschieden und ein Treffen arrangiert.
    Offensichtlich witterte Löffke mit der Publikation die Chance zur ruhmreichen Denkmalspflege in eigener Angelegenheit. Dabei fehlte ihm zum Schreiben durchaus das Talent. Er pflegte weiß Gott keinen ausgefeilten Sprachstil. Seine anwaltlichen Schriftsätze waren oft ungeschliffen und wirkten wie aus Blech getrieben. Er schrieb, wie er war: polternd und barsch, ungeniert und manchmal beleidigend. Stephan wusste, dass er und mehr noch Marie als nunmehr examinierte Germanistin Löffke in dieser Hinsicht weit überlegen waren. Stephan und Marie würden also das leisten müssen, was Hubert Löffke selbst nicht vermochte: mit geschliffener Wortwahl jenen journalistischen Glanz zu erzielen, mit dem sich Löffke anschließend zu brüsten beabsichtigte. Im Schmücken mit fremden Federn war er immer schon führend gewesen. Klar: Hinter seiner leutseligen Einladung stand nichts anderes als die Sicherstellung eines parasitären Vorteils zu seinen Gunsten. Das Einzige, was Stephan im Moment tröstete, war, dass es eine gewisse Waffengleichheit insofern gab, als Löffke nicht wusste, dass er mit dem Gedanken spielte, die sich abzeichnende Zusammenarbeit zum Prüfstein der Fortführung der Sozietät mit Löffke zu machen. Zu oft hatte es zwischen ihnen schon Streitigkeiten im Gefolge intriganter Strategien gegeben, als dass er auf eine Partnerschaft noch hoffen durfte, die diesen Namen verdiente. Das Einzige, was Stephan daran hinderte, sich anderweitig zu orientieren, war die Tatsache, dass ihm die Arbeit in der Kanzlei allen Widrigkeiten zum Trotz nach wie vor Freude machte.
     
    Endlich hielt Löffke vor ihnen. Vom Wind getriebene Schneeflocken wirbelten freudetrunken im Scheinwerferlicht. Ansonsten herrschte zu beiden Seiten der Straße tiefe Dunkelheit. Im Wagen vor ihnen wurde die Innenbeleuchtung eingeschaltet. Hatte Löffke sich verfahren? Löffke und seine Ehefrau Dörthe waren nur schemenhaft zu erkennen. Beide schienen sich über eine Karte zu beugen. Hinter ihnen saßen die Eheleute Frodeleit, Freunde der Löffkes. Von ihnen wusste Stephan lediglich, dass Achim Frodeleit ein früherer Referendarkollege von Hubert Löffke war, der nach dem Assessorexamen die Richterlaufbahn eingeschlagen hatte und mittlerweile vor seiner Beförderung zum Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht stand. Frodeleit sei eine juristische Granate, habe er, so Löffke, Bromscheidt ungeschminkt versichert, ein Partner, mit dem sie brillieren könnten.
     
    Löffke fuhr weiter. Nach etwa 200 Metern bog er unvermittelt links ab und passierte ein kunstfertig gearbeitetes schmiedeeisernes Tor, das zu einer hell erleuchteten kastenartigen Villa im Bauhausstil führte, die in der Dunkelheit wie ein marmorner Klotz erschien.
    Paul Bromscheidt führte seine Gäste in ein geräumiges Wohnzimmer.
    Sie setzten sich an einen langen, filigran wirkenden Esstisch, Bromscheidt vor Kopf, Löffkes und Stephan links, Frodeleits und Marie rechts von ihm.
    »Willkommen in meinem Haus«, begrüßte Bromscheidt sie lächelnd. »Sie sehen, ich habe eine gewisse Vorliebe für Transparenz und Weite. Ich hoffe, Sie fühlen sich wohl in meinen Hallen.«
    Er warf Marie einen Blick zu. »Sie sind mit Herrn Knobel befreundet?«
    »Frau Schwarz ist Herrn Knobels Lebensgefährtin«, glaubte Löffke erläutern zu müssen. »Sie ist Germanistin und bewirbt sich derzeit um eine Stelle an einem Dortmunder Gymnasium. Ich berichte doch korrekt, Kollege Knobel?«
    Stephan bejahte.
    »Sehr schön«, nickte Bromscheidt.
    »Gestatten Sie, dass ich Ihnen Herrn Frodeleit vorstelle?«, preschte Löffke übereifrig vor.
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