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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr
Autoren: Ramiro Pinilla
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wissen sollten. Gegen diesen ersten Impuls lehnte sich jedoch eine Wirklichkeit auf, die sich nicht mehr unterdrücken ließ: das Eigenleben meines Kriminalromans. Man musste mit dem Schlimmsten rechnen: dass er veröffentlicht würde und so alles ans Licht käme. Sicher war es von ihm nicht sonderlich edelmütig, sich zum Schiedsrichter zu erheben, ob die Wahrheit ans Licht kam oder nicht. Hätte Bidane sich für seine Zensur entschieden, oder war es ihr egal, ob man sie nach der Lektüre in Getxo für dumm, wenn nicht gar noch Schlimmeres hielt? Er ließ ihr nicht die Wahl.
    Leonardos Leiche wurde seinen Eltern mit dem richtigen Namen übergeben. Auf Roque Altubes Bitte hin hatte man seinerzeit auf dem Friedhof in La Galea neben dem Grab des ersten Zwillings Platz für den zweiten gelassen, da derVater sie im Tod beisammen wissen wollte. Kurz vor der Beerdigung ging Bidane zu Roque Altube und bat darum, Leonardo an einem anderen Platz auf dem Friedhof zu begraben, was der Vater gut verstand, denn das Ganze war auch für ihn wie ein schrecklich schlechter Traum. Danach ging sie zum Leichenbestatter und erklärte ihm ohne Umschweife, dass sie selbst neben Eladio begraben werden wolle, wenn ihre letzte Stunde gekommen sei, wohl um sich so für die zehn Jahre ungewollter Trennung schadlos zu halten.
    Tage später schlug Koldobike mir einen Spaziergang nach Zumalabena vor.
    »Wozu?«
    »Ein bisschen Gesellschaft wird ihr guttun.«
    »Gesellschaft?«
    Aber meine Sekretärin hatte mal wieder recht: Auch mir fehlte noch so etwas wie ein Schlusswort. Nichts immens Wichtiges, das alles noch mal infrage stellte, nein, aber … Bidane und Leonardo Altube: Wie war das eigentlich zwischen ihnen gewesen? Und zu welchem Zeitpunkt ihrer Ehe merkte sie, dass sie mit dem Falschen verheiratet war?
    Niemand hat das Recht, in anderer Leute Privatsphäre herumzuschnüffeln, egal, was für eine krankhafte Faszination das auf einen ausübt. Trotzdem machten Koldobike und ich uns auf den Weg zu ihr, aus Mitgefühl, wie wir uns einredeten, und weil wir insgeheim wissen wollten, warum sie uns mit solcher Selbstverständlichkeit benutzt hatte.
    »Sie hatte begriffen, dass eine Ehefrau ihren Mann nicht einfach so des Mordes überführen kann, und deshalb hat sie uns diese Aufgabe zugeschoben«, sagte ich zu Koldobike. »Sie ließ uns glauben, dass er vom Mörder seines Bruders bedroht wurde – dabei war sie die Bedrohung! Sie hat uns zum Versteck der Kette geführt und es mit ihrer Geschichte vom baskischen Geld geschickt eingefädelt, dass wir dasSakrileg begingen, sie unter dem Sessel hervorzuholen. Ein paar Sekunden zuvor hatte sie beschlossen, sich nicht länger zu verstellen …«
    Dann kamen mir wieder ein paar der erlebten Szenen in den Sinn, die ich im Stillen noch einmal Revue passieren ließ, bis mich Koldobike fragte, woran ich gerade dachte.
    »Du hast mehr mit Bidane geredet als ich, aber soweit ich mich erinnern kann, kam nie ein ›Eladio‹ über ihre Lippen, immer nur ›mein Mann‹. Seit wann wusste sie von dem Betrug? Wie lange waren sie da schon verheiratet? Haben wir beide es wirklich nicht verdient, Näheres darüber zu erfahren?«
    Wurden wir erwartet? Es schien fast so, denn vor der schweren Haustür standen drei Stühle aus der guten Stube. Bidane hatte uns also nicht nur erwartet, sondern lud uns sogar zu einem zwanglosen Schwätzchen ein, ein Privileg, das wir mit allem, was es bedeutete, durchaus zu schätzen wussten.
    Jeder von uns hatte wohl Angst vor den ersten Worten, weshalb wir uns nur leise murmelnd begrüßten. Die Stühle standen im Dreieck, und so setzen wir uns auch, das Fehlen eines Tischs in der Mitte sollte gewiss einen vertraulichen Umgang fördern.
    »Ich konnte mit dem Doppel leben«, brach Bidane nach einer halben Ewigkeit das Schweigen. Lächelte sie etwa? Ja, auch wenn ihre Augen uns verrieten, dass ihr innerer Kampf noch lange nicht ausgefochten war. »Als ich Leonardo das Jawort gab, wusste ich bereits, dass er nicht Eladio war, aber ich wusste auch, dass ich niemals einen Mann finden würde, der ihm ähnlicher wäre. Das klingt jetzt vielleicht banal, aber so habe ich es nun mal empfunden. Ich habe ihn aus Liebe geheiratet, aus Liebe zu Eladio. Denn Eladio hätte es gutgeheißen, dass Leonardo seine Stelle einnahm, mein Verlobterund später mein Ehemann würde; irgendwann hatten wir einmal darüber geredet, was ich tun sollte, falls ihm etwas zustoßen würde. Und außerdem war Leonardo
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