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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr
Autoren: Ramiro Pinilla
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ausgerechnet in dem Moment, da ich meine schriftstellerischen Ambitionen für immer zu Grabe tragen wollte …
    Unentschlossen blicke ich aufs Meer hinaus. Tatsächlich ist es nicht leicht, mit einem so lange gehegten Wunschtraum auf so grausame Weise Schluss zu machen. Auch wenn ich weiß, dass Koldobike mich in der Buchhandlung mit einem Ausruf der Erleichterung empfangen wird: »Na, Gott sei Dank bist du zur Vernunft gekommen, das wurde ja auch Zeit! Jetzt kannst du Narr dir endlich eine Frau suchen.« Meine Hand umfasst wieder resolut den Packen Papier, denn die letzten paar Sätze haben eindeutig wenig nachChandler, Hammett oder Cain geklungen, sondern viel zu sehr nach mir.
    In letzter Zeit hat sich meine Angestellte immer öfter unmissverständlich über meine Geschichten ausgelassen. »Es tut mir wirklich leid, Sancho, aber deine Plots sind einfach völlig an den Haaren herbeigezogen. Denk nur mal an den von den Kindesentführern, die ihre Geiseln vertauschen. Als ein Vater protestiert, das sei nicht sein Sohn, flucht der eine: ›Verdammt, hat James schon wieder nicht aufgepasst! Dann holen Sie Ihren Knirps eben in der Soundso Street. Dort hat einer auch einen falschen losgekauft.‹«
    Das gehört zu meinem neunten Krimi, in dem zwei Elternpaare einmal quer durch ganz New York fahren müssen, um ihre Sprösslinge wiederzubekommen. Er endet damit, dass Samuel Esparta – mein Privatdetektiv, den ich nach Sam Spade benannt habe – die Kidnapper dabei ertappt, wie sie gerade ein kleines Kind in einem Karussell »ausleihen«.
    Auch über den zwölften hat Koldobike sich mokiert. »Hat man schon mal so was Wirres gehört! Nachdem eine Frau Samuel damit beauftragt hat, ihren Ehemann zu beschatten, verschwindet sie plötzlich spurlos, worauf dein Detektiv nichts Besseres zu tun hat, als von ihrem Gatten sein Tageshonorar von fünfundzwanzig Dollar zuzüglich Spesen einzufordern. Der schnaubt zuerst wie ein Stier, setzt Samuel dann aber selbst auf seine Frau und deren Liebhaber an, Letzterer fängt zeitgleich aber etwas mit der Geliebten des Ehemanns an, beide misstrauen einander natürlich, sodass sie den jeweils anderen ebenfalls von deinem Helden überwachen lassen. Und um das Maß vollzumachen, taucht die Ehefrau plötzlich wieder aus der Versenkung auf und bittet Samuel, nun allen dreien hinterherzuspionieren, also ihrem Gatten, dessen Geliebter und ihrem eigenen Liebhaber. Samuel weigert sich zunächst, weil sie ihm etliche Arbeitstagezu fünfundzwanzig Dollar zuzüglich Spesen schulde, woraufhin sie giftet, er sei ein fürchterlicher Federfuchser, schließlich aber doch zahlt. Das bringt Samuel vollends in die Bredouille, da er nicht mehr weiß, welchem seiner vielen Auftraggeber er was erzählen kann. Und wie holst du ihn da wieder raus? Indem du den Ehemann ermorden lässt! Da niemand deinen Detektiv mit der Suche nach dem Mörder beauftragt, folgert er daraus, dass die drei ihn gemeinsam umgebracht haben, und damit ist der Fall für ihn erledigt. Also echt, Sancho!«
    Behagt hat es Koldobike wahrscheinlich nicht, meine Krimis so zu verhackstücken, dennoch predigte sie mir bei jeder Ablehnung aufs Neue, dass meine Geschichten einfach keine glaubwürdigen Plots hätten. Deshalb wird sie sich bestimmt freuen, wenn ich ihr meinen Entschluss mitteile, das Schreiben ein für alle Mal sein zu lassen, weil ich endlich kapiert habe, dass es mir an Vorstellungsgabe fehlt.
    Noch immer kann ich meinen Blick nicht von dem Felsen abwenden. Den Ring kann ich von hier aus zwar noch nicht sehen –
noch nicht,
weil ich nun direkt auf das Ende des Strands zusteuere, in der Hand mein fest verschnürtes Manuskript –, doch ist er gewiss noch da, denn mir ist nicht bekannt, dass irgendwer oder gar die Wucht der Flut ihn in all den Jahren herausgerissen hätte. Félix Apraiz hat ihn vor vielen, vielen Jahren dort für seine Reusen einzementiert. Seither heißt er bei uns nur »der Felsen von Félix«. So als hätte der Fischer ihn damit käuflich erworben, als wäre es ausschließlich seiner: Kein anderer aus Getxo hat jedenfalls danach auch nur im Traum daran gedacht, seine eigenen Netze an diesen Ring zu binden, so praktisch das auch gewesen wäre.
    Obwohl … so ganz stimmt das nicht, dass niemand sich jemals des Rings bemächtigt hätte: Die dreisten Altube-Zwillingebefestigten immer ihre eigenen Reusen daran, sobald Félix Apraiz auf hoher See fischte, ja in Getxo wurde sogar gemunkelt, dass sie sie auch neben die des
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