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Nur Ein Toter Mehr

Nur Ein Toter Mehr

Titel: Nur Ein Toter Mehr
Autoren: Ramiro Pinilla
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1 Ein alter Fall für einen neuen Detektiv
    Mit schweren Schritten schleppe ich mich den Strand runter zum Meer, in der Hand das Päckchen, das ich gerade von der Post in Algorta geholt habe. Darin ist mein neuester Roman, dem dasselbe Los beschieden ist wie meinen vorherigen: Der Verlag hat ihn abgelehnt. Das ist mein letzter Versuch gewesen, definitiv. Sechzehn Mal habe ich in den letzten Jahren oben auf die erste Seite »Erstes Kapitel« geschrieben, sechzehn Mal habe ich irgendwann feierlich den Schlusspunkt gesetzt – und genauso oft ist das fertige Manuskript abgelehnt worden. So viele Rückschläge sollten als Beweis reichen, dass ich kein Talent fürs Schreiben habe.
    Die Wellen branden träge gegen den Strand von Arrigunaga. Das Einzige, was nicht zu der friedlichen Stimmung passt, ist meine Aufgewühltheit. Trübsinnig sehe ich mich nach einem schweren Stein um, der geeignet wäre, dem Päckchen ein Ende zu bereiten, und mit ihm meinen Ambitionen,
den
Krimi schlechthin zu schreiben. Wie Whisky Soda hätte er funkeln sollen, mit solch brillanten Sätzen wie:
Einer muss bleiben, um die Toten zu zählen; In dem Kinnhaken, den ich ihm verpasste, lag die ganze Wucht meiner fünfundneunzig Kilo;
oder
Der Tote war ein schlanker junger Mann, der bis dahin gar nicht mal so schlecht ausgesehen hatte.
Ach, von welchstilistischer Eleganz sind die Meisterwerke eines Hammett, Chandler, Cain, Himes, Ambler und wie sie alle heißen. Und was habe ich dagegen verfasst? Die Antwort darauf erspare ich mir lieber. Wie viele Jahre versuche ich nun schon, die Großmeister des Genres nachzuahmen, mache die Nacht zum Tag, um ihre Bücher vorwärts und rückwärts zu lesen, sage mir beim Einschlafen immer wieder ihre geschliffenen Sätze vor … Umsonst: Von ihrer Virtuosität hat nichts auf mich abgefärbt. Ihre Sätze pulsieren – während meine dröge Kopfgeburten sind. Und diese letzten Zeilen sind nur nicht völlig missglückt, weil ich darin die Namen meiner Idole eingeflochten habe, ein Mittel, zu dem ich im Übrigen nicht das erste Mal gegriffen habe, ja ich war sogar schon mal kurz versucht gewesen, eine meiner Romanfiguren Chandler oder Cain zu taufen, um vom magischen Klang des Namens zu profitieren, habe es dann aber aus einem letzten Rest an Anstand doch sein lassen.
    Endlich habe ich einen brauchbaren Stein gefunden. Aus der Hosentasche ziehe ich eine Schnur, mit der ich ihn auf dem Päckchen festbinde. Gleich werde ich es weit von mir schleudern, und nachdem es eine traurige Flugbahn beschrieben hat, wird es sein ewiges Grab in den dunklen Fluten finden und damit meiner Starrköpfigkeit ein Ende setzen. Der Packen Papier ist ganz schön dick. Meinen Hang zu ausufernden Sätzen kann ich mir wohl nicht abgewöhnen. Meine Meister brauchen für ihre fesselnden Geschichten gerade mal zweihundertfünfzig bis dreihundert Seiten, sobald ich aber versuche, mich kurz zu fassen, verkümmert mein Text zum Telegramm.
    Das Bündel in meiner rechten Hand, hole ich wie ein Diskuswerfer aus – da bleibt mein Blick an einem Felsblock am Ende des Strands hängen, den die Ebbe freigelegt hat. An seiner zum Meer hin gewandten Seite befindet sich eindicker Metallring, an den vor Jahren jemand die Altube-Zwillinge festkettete, damit sie mit dem Einsetzen der Flut ertränken. Es starben jedoch nicht alle beide. Eladio kam gerade noch einmal mit dem Leben davon, wenn auch nur knapp: Als Antimo Zalla mit seiner Eisensäge anrückte, reichte ihm das Wasser schon bis zu den Augen, und aus Mund und Nase stiegen die Luftblasen eines Ertrinkenden auf …
die Luftblasen eines Ertrinkenden
… hm … das klingt echt gut … Seine Rettung hatte er allerdings nur dem Umstand zu verdanken, dass Lucio Etxe an jenem Morgen am Strand verzweifelte Schreie hörte, die die letzten des nach Luft ringenden Zwillings hätten sein können: »Hilfe! Holt mi … raus!!« Das heißt, noch waren die Wellen nicht hoch, sondern gewissermaßen nur die Vorboten der steigenden Flut, doch sie schlugen Eladio schon ins Gesicht, sodass er jedes Mal eine gehörige Portion Wasser schluckte … Hey, das ist gar nicht mal so übel … na ja, die anschließende Erklärung könnte man vielleicht weglassen … Das Verbrechen riss Getxo damals jedenfalls aus seiner Lethargie.
Riss Getxo aus seiner Lethargie:
Oh, là, là, Sancho, das hat ja richtig Ausdruckskraft, das hätte sogar Hammett schreiben können! Erstaunlich, dass mir auf einmal solche Sätze einfallen, und das
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