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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
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Lippenstift betont. »Victor«,
sagte sie so aufmunternd, wie sie konnte. »Wie wär’s mit dir?«
    »Sind Sie sicher, dass Sie das vertragen?«, fragte Victor grinsend. Er warf einen Blick zu der ähnlich gekleideten Diva auf dem Platz neben ihm. Das Mädchen hieß Nancy und trug drei Sicherheitsnadeln in der fein gezupften linken Augenbraue. Sie streckte die Zunge heraus.
    Sandy zuckte zusammen. Sie konnte den Anblick des Metallknopfes, der aus Nancys Zunge ragte, nur mit Mühe ertragen. Es sah einfach zu schmerzhaft aus. Machte sich das Mädchen denn keine Sorgen wegen einer Entzündung? Oder ihre Eltern? Sandy unterdrückte einen weiteren Seufzer. Glücklicherweise war keines ihrer Kinder auf die Idee verfallen, sich mit Piercings oder Tattoos zu verunstalten. Zumindest bisher nicht.
    »Ich riskiere es einfach mal«, erklärte sie Victor. »Du hast bestimmt einiges Interessantes zu erzählen.« Wenn er vorhatte, in der Schule Amok zu laufen, würde sie so zumindest vorher gewarnt. Sie ging um das Lehrerpult, ließ sich auf ihren Stuhl sinken und fragte sich, wann diese ganze Goth-Mode sich endlich erledigt hatte. Gab es die nicht schon ewig lange? In Rochester hatte sie auf jeden Fall mehr als genug davon gesehen, und auch wenn sie erkannte, dass diese Art, sich zu kleiden, vor allem eine Rebellion des Stils gegen den Inhalt darstellte, beunruhigte es sie trotzdem. Aber Victor war ihr ungeachtet seiner makabren Aufmachung durchaus sympathisch. Im Gegensatz zu den meisten ihrer Schüler verfügte er über eine rege Einbildungskraft, und man konnte sich in der Regel darauf verlassen, dass seine häufig von bizarren und exotischen Bildern wimmelnden Aufsätze einigermaßen interessant waren, wenngleich auch nicht so provokant, wie er gern gewollt hätte.
    »Soll ich aufstehen?« Victor hatte sich schon ein paar Zentimeter von seinem Stuhl erhoben.
    »Nicht nötig.«

    Sofort ließ er seinen knochigen Hintern wieder auf den Sitz sinken, räusperte sich und hielt kurz inne. »Es ist Vollmond«, begann er dann ausdruckslos seinen Text vorzulesen. »Ich liege in meinem Bett und lausche dem Heulen der Wölfe.«
    »In Florida gibt es keine Wölfe, du Hirni«, rief Joey Balfour aus der hinteren Reihe. Joey war neunzehn, Kapitän des Football-Teams und wiederholte das letzte Schuljahr. Er war ein selbstgefälliger Angeber – groß, kräftig und hirnlos – und alles in allem auch noch stolz darauf.
    Der Rest der Klasse lachte. Ein Papierflugzeug segelte durch den Raum.
    »Hirni«, wiederholte Victor leise, aber verächtlich genug, um die Aufmerksamkeit wieder auf sich zu lenken. »Das war metaphorisch gemeint.«
    Joey lachte und hielt sich die Hände vors Gesicht, als wollte er sich vor etwas schützen. »Boah – ey. Das hatte ich nicht kapiert. Das war me-ta-pho-risch.«
    »Das ist aber ein ziemlich großes Wort für einen Pimpf wie dich«, sagte Greg Watt mit einem gerinnenden Lächeln und einem finsteren Unterton.
    »Möchte vielleicht irgendjemand erklären, was es bedeutet?«, ging Sandy dazwischen, um eine Konfrontation zu vermeiden. Sie hatte zu Beginn des Jahres eine komplette Unterrichtsstunde auf Metaphern verwendet, und es wäre schön, wenn irgendjemand tatsächlich etwas mitbekommen hätte.
    Delilah hob die Hand.
    Hätte man es sich nicht denken können, sinnierte Sandy. Nicht nur, dass diese übergewichtige Erinnerung an die Untreue ihres Mannes ihr jeden Morgen direkt ins Gesicht starrte, nun drängte es die junge Frau auch noch, etwas zu ihrem Unterricht beizutragen. Wusste sie nicht, dass es Sandy jedes Mal wie ein Stich ins Herz traf, wenn sie auch nur den Mund aufmachte? Womit wir wieder bei Metaphern wären, dachte sie kopfschüttelnd, wodurch sich die Strähne, die sie eben hinter ihr Ohr gestrichen hatte, wieder löste. Oder
streng genommen bei einem Vergleich. »Ja, bitte, Dee«, sagte sie.
    » Dee ?«, wiederholte Greg ungläubig. » Dee ?! Wenn Sie ihr schon einen Spitznamen geben wollen, wie wär’s dann mit Deli? Ja, das ist passender. Sie könnte auf jeden Fall eins leer fressen.«
    Wieder brach die ganze Klasse in lautes Gelächter aus. Aber im Gegensatz zu Victor hatte Delilah keine flinke Erwiderung, keinen cleveren Konter parat.
    »Das reicht«, warnte Sandy ihre Schüler.
    »Sagen Sie das Deli«, rief Joey Balfour aus der letzten Reihe, was eine weitere Lachsalve auslöste.
    »Oder wie wär’s mit Big D.?«, fuhr Greg fort. »Wie in dem Song, wissen Sie -«
    »Ich sagte, das
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