Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
Vom Netzwerk:
reicht.«
    Delilah senkte den Kopf, was ihr Doppelkinn noch betonte. Sandy fühlte sich sofort schuldig. Das arme Mädchen hatte schon genug Probleme. Sie musste nicht noch irgendwelche Spitznamen angehängt bekommen, die weitaus schlimmer waren als ihr richtiger Name. Was hatte sie getan? Es war schließlich nicht die Schuld dieses Teenagers, dass ihre Mutter Sandys Mann in einem intimen Internet-Chat verführt hatte. Es war nicht ihre Schuld, dass Ian nicht mehr damit zufrieden gewesen war, der sprichwörtliche kleine Fisch in dem großen Teich zu sein, und sich danach gesehnt hatte, ein größerer Fisch in einem kleineren Teich zu werden.
    Der dickste Fisch, korrigierte Sandy sich. Im kleinsten Teich.
    Oder besser noch ein Frosch, dachte sie. In einem Sumpf.
    »Okay, Schluss jetzt. Es sei denn, ihr wollt alle nachsitzen.« Sofort verstummte die Klasse. Wenn man Macht besaß, brauchte man keine cleveren Erwiderungen.
    »Also gut... Dee. Sag uns, was eine Metapher ist.«
    »Es ist ein Symbol«, begann Delilah. »Ein Vergleich. Wenn man ein Wort oder einen Satz, der normalerweise etwas Bestimmtes
bedeutet, so benutzt, dass er etwas anderes bedeutet.«
    »Wovon zum Teufel redet sie?«, fragte Greg.
    »Das bedeutet, das Victor nicht wirklich im Bett gelegen und dem Heulen der Wölfe gelauscht hat«, antwortete Brian Hensen, ohne von seinem Pult aufzublicken. Brian war der kränkliche Sohn der Schulkrankenschwester und von Natur aus so blass wie Victor nach einem halben Tiegel Puder.
    »Was meint er dann damit, Schlaumeier?«
    »Er horcht auf die Geräusche der Nacht«, antwortete Brian nüchtern. »Die Gefahr.« Er hob den Blick und sah Sandy an. »Den Tod.«
    »Wow«, sagte Victor.
    »Cool«, meinte Greg.
    Dann sagte ein paar Sekunden niemand etwas. »Danke, Brian«, brachte Sandy schließlich flüsternd hervor und unterdrückte den Impuls, Victor und Brian herzlich zu umarmen. Vielleicht leistete sie doch einen kleinen Beitrag. Vielleicht waren die Monate hier doch nicht völlig vergeudet gewesen, wie sie mehr als einmal geklagt hatte. Vielleicht lernte ja irgendjemand tatsächlich etwas.
    Victor räusperte sich erneut und legte eine dramatische Pause ein. »Ich weiß natürlich, dass es in Florida keine Wölfe gibt«, las er höhnisch grinsend mit einem Seitenblick zu Joey. »Aber das hält mich nicht davon ab, mir vorzustellen, wie sie sich vor meinem Zimmer versammeln. Werden sie später immer noch da sein, frage ich mich. Warten sie auf mich, wenn ich aus meinem warmen Bett in die kühle Dunkelheit hinausgehe? Werden sie mir in den Wald folgen, wo ich mich häute wie die schmale Schlange, die im Mondlicht über meine nackten Füße gleitet?«
    »Welcher Wald denn, du Penner?«
    »Joey...«, warnte Sandy.
    »Nein, sagen Sie es nicht. Das ist wieder eine Metapher.«
    »Ich finde ein ruhiges Fleckchen feuchter Erde«, fährt Victor
unaufgefordert fort, »zücke das Küchenmesser aus meinem Gürtel, ziehe die gezackte Klinge über die Innenseite meines Armes und beobachte, wie das Blut an die Oberfläche blubbert wie Lava aus einem Vulkan. Ich senke den Kopf, schmecke meine Sünden und trinke mein unreines Verlangen.«
    »Du bist ein Vollspinner«, erklärte Joey.
    Dieses Mal war Sandy ungeachtet der literarischen Qualität des eben Gehörten durchaus geneigt, Joey zuzustimmen. »Okay, Victor. Ich denke, wir haben genug gehört. So sehr ich die Wortgewandtheit zu schätzen weiß, mit der du deine Fantasien ausdrückst, ging es bei dieser Hausaufgabe doch eher darum festzuhalten, was du gestern Nacht tatsächlich gemacht hast.«
    Statt zu antworten, streckte Victor den linken Arm aus, krempelte den Ärmel seines schwarzen Hemds auf und entblößte eine lange gezackte Linie auf seinem Unterarm.
    »Cool«, sagte Nancy.
    »Verdammte Scheiße«, sagte Greg.
    »Ich denke, das solltest du besser der Krankenschwester zeigen«, sagte Sandy und verschloss die Augen vor dem Anblick.
    Victor lachte. »Wozu? Mir geht es gut.«
    »Da bin ich mir nicht so sicher«, entgegnete Sandy. »Bitte geh zu Mrs. Hensen. Auf der Stelle.« Sie nahm sich vor, nach der Schule Victors Eltern anzurufen, um sie auf die nächtlichen Aktivitäten ihres Sohnes aufmerksam zu machen. War es vorstellbar, dass sie ihnen etwas erzählte, was sie nicht längst wussten?
    Kümmer dich um deinen Kram , hörte sie Ian tadeln. Er hatte immer gesagt, dass sie sich zu sehr auf ihre Schüler einließ. Sorge dich um dein eigenes Leben , hatte er gesagt.
    Nur dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher