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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
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Nummer eins, zwei oder drei entscheiden? Nur dass es hier bloß eine Tür gibt, und wer weiß, was sich dahinter verbirgt. Die Dame oder der Tiger? Rettung oder Vernichtung? Meine Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln. Sie wird gar nichts finden. Zumindest noch nicht. Nicht, bevor ich so weit bin.
    Sie hat sich von der Pritsche erhoben, ihre Neugier treibt sie an, die Füße voreinander zu setzen und zur Tür zu gehen, selbst wenn eine bohrende Stimme ihr warnend ins Ohr wispert, dass Neugier der Katze Tod ist. Verlässt sie sich auf das alte Ammenmärchen, dass eine Katze neun Leben hat? Glaubt sie, ein paar nutzlose alte Weiberweisheiten könnten sie retten?
    Mit zitternder Hand greift sie nach dem Türknauf. »Hallo?«, ruft sie, leise zunächst, die Stimme ebenso zittrig wie ihre Finger. »Hallo?«, wiederholt sie kräftiger. »Ist da jemand?«

    Ich bin versucht, ihr zu antworten, aber ich weiß, dass das keine gute Idee ist. Zunächst einmal würde es ihr verraten, dass ich sie beobachte. Im Augenblick ist ihr der Gedanke, dass sie observiert werden könnte, noch nicht gekommen, und wenn das geschieht, vielleicht in ein oder zwei Minuten, wird sie panisch die Augen aufreißen und den Raum absuchen. Vergeblich. Sie kann mich nicht sehen. Das Guckloch, das ich in die Wand gebohrt habe, ist zu klein und viel zu weit oben, als dass sie es entdecken könnte, vor allem in dem schwachen Licht. Außerdem würde der Klang meiner Stimme ihr nicht nur eine Ahnung von meiner Anwesenheit und meinem Aufenthaltsort geben, er könnte ihr auch helfen, mich zu identifizieren, was ihr einen unnötigen Vorsprung in der anstehenden Psycho-Schlacht verschaffen würde. Nein, ich werde mich schon früh genug zu erkennen geben. Es hat keinen Sinn, dem Spiel vorauszueilen. Das Timing wäre einfach nicht richtig. Und Timing ist, wie man so sagt, alles.
    »Hallo? Irgendjemand da?«
    Ihre Stimme klingt jetzt drängender, verliert ihr mädchenhaftes Timbre und wird schrill, beinahe feindselig. Das ist eines der interessanten Phänomene, die ich über weibliche Stimmen herausgefunden habe – wie schnell sie von herzlich in herrisch umschlagen, von tröstend in enervierend, wie schamlos sie alles enthüllen wollen, wie kühn sie ihre angstvollen Worte in die ahnungslose Luft schleudern. Die sanfte Flöte wird von einem wilden Dudelsack übertönt, das Kammerorchester von einer Marschkapelle niedergetrampelt.
    »Hallo?« Das Mädchen packt den Türknauf und versucht, die Tür in ihre Richtung aufzuziehen. Aber die Tür gibt nicht nach. Schnell verkommen ihre Bewegungen zu einer Folge unbeholfener Posen, die immer unüberlegter und hektischer werden. Sie zieht an der Tür, drückt und rammt ihre Schulter dagegen, was sie mehrmals wiederholt, bevor sie aufgibt und in Tränen ausbricht. Das ist das Andere, was ich an Frauen beobachtet habe – sie heulen ständig. Es ist der einzige Punkt,
an dem sie einen nie enttäuschen, das Einzige, worauf man sich verlassen kann.
    »Wo bin ich? Was geht hier vor?« Zunehmend frustriert hämmert das Mädchen mit den Fäusten gegen die Tür. Sie ist jetzt nicht mehr nur verängstigt, sondern auch wütend. Sie weiß vielleicht nicht, wo sie ist, aber sie weiß, dass sie nicht freiwillig hierhergekommen ist. In ihrem Kopf beginnt es von immer grausameren Bildern zu wimmeln – Zeitungsschlagzeilen aus jüngerer Zeit über vermisste Mädchen, Fernsehberichte über Leichen, die man notdürftig in der Erde verscharrt gefunden hatte, Bilder von Messern und anderen Folterinstrumenten aus Versandhauskatalogen, Filmausschnitte von hilflosen Frauen, die vergewaltigt und erwürgt werden, bevor man ihre Leichen in schleimbedeckten Sümpfen versenkt. »Hilfe!«, fängt sie an zu schreien. »Bitte helft mir!« Aber auch ihre Klagerufe treffen nur auf die abgestandene Luft, und ich nehme an, dass sie weiß, dass sie völlig nutzlos sind, weil kein Mensch sie hören kann.
    Kein Mensch außer mir.
    Ihr Kopf schnellt hoch, ihre Augen richten sich wie Suchscheinwerfer auf mich, sodass ich von der Wand zurückzucke und im Rückwärtstaumeln beinahe über meine eigenen Füße stolpere. Als ich mich wieder gesammelt habe und zu Atem gekommen bin, geht sie in dem kleinen Raum im Kreis und blickt sich hektisch in alle Richtungen um, während sie mit flachen Händen die blanken Betonmauern nach einer weichen Stelle abtastet. »Wo bin ich? Ist da draußen jemand? Warum hat man mich hierhergebracht?«, ruft sie, als ob sie auf die
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