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Mann mit Anhang

Mann mit Anhang

Titel: Mann mit Anhang
Autoren: Gitta von Cetto
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1
     
    Das Telefon klingelte. Ronald
Gutting griff verschlafen nach dem Hörer. »Widerlicher Lärmschlager, so ein
Telefon«, murmelte er und legte den Hörer neben sich auf das Kopfkissen.
    »Hallo?«
    »Guten Morgen, hier ist der
Weckdienst. Es ist sechs Uhr.«
    »So? Ja, danke.«
    Ronald Gutting rappelte sich auf.
Was sich die Menschen alles ausdachten. Telefone! Weckdienst! Ob sich Bell wohl
über alle teuflischen Folgen seiner Erfindung klar gewesen war? Ein Trost, daß
der Weckruf in München durch eine sympathische Frauenstimme erledigt wurde.
Verzuckerte Pillen schlucken sich leichter, dachte Gutting.
    Er versuchte, sich zu erinnern,
warum er heute eigentlich so früh aufstehen wollte. Ach ja, Goggi hatte
Geburtstag. Sie wurde einundzwanzig Jahre alt. Ihr Geburtstagstisch mußte
hergerichtet werden. Die Schnittblumen waren kaltgestellt, der schwere goldene
Armreif lag in Guttings Schreibtisch, und den sonstigen kleinen Schnickschnack
hatte Fräulein Muhr aufbewahrt.
    Jemand klopfte an die Tür, und
Ronald holte tief Atem. Er erwartete, die Muhr zu sehen, Fräulein Berta Muhr,
vierundfünfzig Jahre alt, geboren unter dem Sternzeichen des Krebses. Sie wird
beleidigt sein, dachte Ronald. Gewisse Menschen waren immer beleidigt, sie
kamen bereits beleidigt auf die Welt, und nichts konnte sie je mit diesem
Dasein versöhnen. Aber die Muhr war dennoch eine Perle. Nichts gegen die Muhr!
Eine schwarze Perle.
    »Herein«, sagte er und knüpfte
die Kordel seines Morgenrocks zu. Auch sein Gesicht, das er der Tür zuwandte,
war zugeknöpft. Aber es verwandelte sich sogleich. »Du bist es? Seit wann
klopfst du an?« fragte er.
    Goggi kam rasch näher. In ihrem
roten Haar nistete noch der warme Duft des Schlafes. »Wir wollen ein bißchen
miteinander reden, Papa«, sagte sie und legte zärtlich ihre Arme um seinen
Hals.
    Das lavendelblaue, knielange
komische Ding, das sie trug, fühlte sich wie ein Rosenblatt an. Der Morgenrock
duftete nach einem süß-herben Parfüm und ein bißchen nach Puder und Haar und
Zigaretten. Nach Goggi eben.
    »Ich wünsche dir viel, viel
Glück, mein liebes Kind! Glück beim Autofahren, Glück bei deinen
Freundschaften, Glück in der Liebe«, sagte er, nahm ihren Kopf in seine beiden
Hände und küßte Goggi auf den Mund.
    Goggi ließ sich auf den
Bettrand sinken und griff nach den Zigaretten ihres Vaters, die auf dem
Nachttisch lagen. Gutting runzelte die Stirn. »Nicht rauchen vor dem Frühstück.
Du bekommst...«
    »Ich bekomme eine graue Haut
und Falten und gelbliche Augäpfel. Ich weiß. Und ich bekomme keine Kinder, wenn
ich zu viel rauche.« Sie hatte sich schon eine Zigarette angesteckt.
    Er nahm ihr die Zigarette
stillschweigend aus der Hand und marschierte damit in seinem Schlafzimmer auf
und ab. Im Vorbeigehen warf er einen Blick auf Goggis Füße mit den
korallenfarbenen Zehennägeln. »Du solltest Pantoffeln anziehen, wenn du im Haus
herumläufst«, sagte er.
    Goggi faltete die Hände im
Nacken und warf sich mit einem glücklichen Seufzer zurück auf das breite Bett.
»Wenn du nicht mein Vater wärst...«, sagte sie schwärmerisch.
    »Was dann?« Er räusperte sich.
    »Du bist es doch ganz bestimmt?
Hundertprozentig?«
    Er blieb vor ihr stehen und
sah, wie sie ihn aus den Winkeln ihrer Augen musterte. Diese Augen schillerten
grün wie die mit Blütenstaub bedeckten Flügel eines Rosenkäfers. Georgs Augen,
dachte Ronald. Er riß sich zusammen. »Willst du nur Unsinn reden an deinem
Geburtstag?« fragte er zürnend.
    »Wenn du nämlich nicht mein
Vater wärst, wäre für mich alles viel leichter und unkomplizierter. Väter
müssen immer so offiziell zu allem Stellung nehmen. Und sie sind so engstirnig,
sie können gar nicht anders sein. Es ist, als hätte man vor ihre Vernunft, ihre
Menschlichkeit und vor ihren Humor einen Bretterzaun genagelt. Sie können sich
keinen Weitblick leisten, weil sie sonst aus der Kutsche fallen.«
    Sie sah dem Rauch nach, der
sich aus der Zigarette kringelte, die sie Gutting wieder weggenommen hatte.
    »Noch etwas?«
    »Ja. Ich muß mich von dir
trennen«, sagte sie feierlich. Sie lächelte ein wenig schmerzlich, ein bißchen
schief und anscheinend über sich selbst erstaunt.
    Ronald blickte auf sie herab.
Er verschränkte die Arme und stellte ein Bein vor, um sich durch diese
heroische Pose stark zu machen. Wie sie dalag, mit dem weichen Mund und der
festen, runden Brust, war sie kein Kind mehr. Er kniff die Augen zusammen und versuchte,
sich Goggi als
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