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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder
Autoren: Kerstin Herrnkind
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Haupttext

    Die Erinnerungen haben sich in mein Gedächtnis gebrannt wie Jahresringe in einen Baumstamm. Wahrscheinlich, weil sie so schmerzlich sind. Jede Einzelheit ist mir präsent, so als sei es gestern gewesen.

    Schon unten im Treppenhaus hörte ich das Telefon. Beethovens Elise quäkte in kurzen, abgehackten Tönen aus dem Apparat. Tobias hatte den Klingelton ausgesucht und gespeichert. Er hörte gern klassische Musik. Der Mörder liebte Beethoven, hatte eine Boulevardzeitung getitelt. Es las sich wie ein Klischee. Aber es stimmte.

    Obwohl ich hochhackige Pumps trug, nahm ich zwei Stufen auf einmal. Nicht etwa, weil mich der Ehrgeiz trieb, das Telefon noch zu erreichen, bevor Elise verstummte. Ich musste verhindern, meinen Nachbarn zu begegnen. Womöglich dem pensionierten Oberstudienrat aus dem Erdgeschoss, der nach dem Tod seiner Frau den ganzen Nachmittag hinter der Gardine auf Falschparker und andere Delinquenten lauerte, um sie bei der Polizei anzuschwärzen. Oder der arbeitslosen Bibliothekarin aus dem zweiten, die sich für eine verhinderte Schriftstellerin hielt und ihre Nachbarn gern aushorchte, als sammle sie Stoff für eine Milieustudie. Den hatte ich ihr ja nun quasi frei Haus geliefert.

    Als ich die Tür atemlos hinter mir ins Schloss hatte fallen lassen, spielte das Telefon die Melodie wieder von vorn. In mir keimte die verzweifelte Hoffnung, dass Tobias mich anrufen würde. Aber das war natürlich naiv. Er konnte sich doch denken, dass unser Telefon abgehört wurde.
    Trotzdem nahm ich ab. Am Apparat war die Redakteurin einer dieser Illustrierten, die ich beim Arzt im Wartezimmer manchmal durchblätterte. Wie es mir ginge, fragte die Journalistin einschmeichelnd, im Ton einer alten Freundin. Wie sollte ich mich schon fühlen, nachdem mein Leben binnen weniger Stunden verwüstet worden war, so als hätte eine Bombe eingeschlagen. Mein Mann war ein Mörder auf der Flucht. Hatte jahrelang ein Doppelleben geführt, von dem ich nichts geahnt hatte. War, nachdem er ein vierzehnjähriges Mädchen vergewaltigt und ermordet hatte, zu mir ins Bett gekrochen, um mit mir zu schlafen. Drei Jahre hatte ich mit diesem Mann zusammengelebt. Dachte, ich würde ihn kennen. Und lieben.

    Sie wolle mit mir reden, sagte die Journalistin und gab ihrer Stimme ein beruhigendes Timbre, als sei ich ein kleines Mädchen beim Zahnarzt, dem sie die Furcht vor der Spritze nehmen müsse. Ich wolle doch sicher nicht, dass die Menschen dachten, ich hätte etwas vom Doppelleben meines Mannes gewusst. Ohne ihr zu antworten, legte ich auf. Doch kaum hatte ich das Telefon zurück in die Ladestation gestellt, dudelte es erneut. Der nächste Journalist, wahrscheinlich. Und das, obwohl ich mich auf Anraten der Kripo nach der ersten Vernehmung, ohne noch einmal nach Hause zu fahren, ein paar Tage in einem Landhotel versteckt hatte, weil die Presse vor unserer Wohnungstür campierte. Aasgeier des Leids waren das. Wer hatte denen bloß unsere Adresse und Telefonnummer gegeben? Und die ganzen Details aus unserem Privatleben ausgeplaudert? Nun fehlte nur noch das exklusive Gespräch mit der Frau des Mädchenmörders. Ich nahm das Mobilteil und schob den Akku raus. Endlich war Elise still.

    In unserer Wohnung herrschte ein furchtbares Chaos. Die Kripobeamten hatten bei ihrer Hausdurchsuchung alle Schränke durchpflügt. Schubladen waren halb herausgezogen, Kleider quollen hervor wie Gedärme. Schranktüren standen offen. Meine Unterwäsche lag auf dem Boden verstreut, so wie unsere Bücher. Tobias’ Computer, seine Krimis, Anzüge, Hemden, Pullover, Zahnbürste, sein Kamm, ja sogar der Fahrradhelm waren beschlagnahmt worden. Das Pulver, mit dem die Spurensicherung Fingerabdrücke sichtbar machte, lag wie ein Schleier auf allen Möbeln.

    Ich ging ins Schlafzimmer, bahnte mir einen Weg durch das Gewühl von Kleidern und Modeschmuck auf dem Holzparkett. Ich ließ mich aufs Bett fallen. Der Arzt hatte mir starke Beruhigungs- und Schlaftabletten verschrieben, mit denen ich die letzten Tage im Hotel vor mich hin gedämmert hatte wie im Fiebertraum. Obwohl ich früher nicht mal ein Aspirin gegen Kopfschmerz geschluckt hatte, war ich im Moment dankbar für jede Minute Schlaf, die mir die Pharmaindustrie gönnte. Denn erst dann zermarterte ich mir nicht mehr das Gehirn. Warum war ich nur so blind gewesen? Hatte es Warnsignale gegeben, die mich hätten hellhörig machen müssen?

    Ich hatte Tobias im Flugzeug kennengelernt. Er saß auf dem Flug
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