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Mein Mann der Moerder

Mein Mann der Moerder

Titel: Mein Mann der Moerder
Autoren: Kerstin Herrnkind
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von München nach Berlin neben mir und las ausgerechnet Die Bestie im Menschen von Émile Zola . Heute frage ich mich manchmal, ob er schon damals eine Ahnung von seiner dunklen Seite hatte. Und ob er sich insgeheim von Zola eine Antwort darauf erhoffte, wie er das Böse, das in ihm schlummerte, in Schach halten konnte. Damals wunderte ich mich allerdings nur darüber, dass dieser fremde Mann jenseits der vierzig ein Buch las, das zum Repertoire eines Abiturienten gehörte.

    Obgleich Tobias eigentlich nicht mein Typ war, nahm es mich für ihn ein, dass er sich die Zeit im Flieger mit einem Klassiker vertrieb. Ich musterte meinen Sitznachbarn verstohlen aus dem Augenwinkel. Er war mittelgroß, seine blonden, dichten Locken hatte ein Friseur, der sein Handwerk beherrschte, auf eine Länge gestutzt, die allmorgendlich ohne viel Aufwand und mit ein bisschen Gel in Form gezupft werden konnte. Seine randlose Brille ließ ihn aussehen wie einen Intellektuellen, verlieh ihm einen weichen, fast rührenden Zug. Tobias trug dunkle Designerjeans, ein Tweedjackett, dazu ein helles Hemd ohne Krawatte. Er hätte für das Feuilleton schreiben, Architekt oder Galerist sein können. Ein bekennender Schöngeist, der sich für Literatur und Kunst interessierte, erlesene Rotweine trank, Pfeife rauchte. Jedenfalls keiner dieser Lackaffen, die sich Glanz in die streichholzkurzen Haare gelten und sich hinter der FAZ vergruben, als sei sie ein Bollwerk gegen den Rest der vermeintlich ungebildeten Welt.

    Ich bedeckte mein Gesicht mit einem dunkelroten Paschminaschal, schloss die Augen und döste vor mich hin. Ich war müde, hatte einen anstrengenden Tag hinter mir. Die Präsentation meines Entwurfs einer Firmenchronik für eine mittelständische, aber sehr profitable Uhrenmanufaktur war optimal gelaufen. Die Inhaber des Familienbetriebes in vierter Generation wollten für ihre betuchten Kunden ein gebundenes Buch über ihre Firmengeschichte drucken lassen. Geld spielte keine Rolle – Hochglanzpapier, Vierfarbendruck, ausgefeilte Texte, professionelle Fotos. Ein lukrativer und wichtiger Auftrag für die PR-Agentur, bei der ich angestellt war. Entsprechend hatte ich mich zurechtgemacht. Ich trug einen schwarzen Hosenanzug, der tadellos saß und dessen weich fallender, knitterfreier Stoff verriet, dass er sündhaft teuer gewesen war. In meinem Haar, das blond und kurz zuvor vom Friseur wie mit dem Lineal exakt auf Kinnlänge zu einem französischen Bob getrimmt worden war, steckte die Gucci-Sonnenbrille. Vor mir auf dem Fußboden stand ein weiteres Insigne erfolgreicher Frauen: die Prada-Tasche. Ein XXL-Shopper aus leichtem Nylon, mit Kalbsleder abgesetzt, groß genug, um neben Portemonnaie und Kosmetiktäschchen auch Laptop, Handy, Präsentationsmappen und eine kleine Wasserflasche zu beherbergen.

    Dass Tobias immer wieder verstohlen von Zola aufsah und in meine Richtung schielte, registrierte ich geschmeichelt. Wahrscheinlich hoffte er, dass ich mein Versteck verließ, damit er mich ansprechen konnte. Doch den Gefallen tat ich ihm nicht.
    Mein Shopper stand genau zwischen uns, war leicht geöffnet. Ich döste. Wachte erst wieder durch die schnarrende Stimme des Piloten auf, der über Lautsprecher unsere Landung in Berlin-Schönefeld ankündigte. Durch den dünnen Stoff meines Schals konnte ich sehen, wie mein Sitznachbar etwas auf ein Stück Papier kritzelte. Intuitiv spürte ich, dass der Zettel für mich bestimmt war. Und richtig: Tobias blickte zu mir herüber. Der Schal wirkte wie eine verspiegelte Sonnenbrille. Ich konnte Tobias sehen. Doch der dunkle Stoff verschleierte, dass ich ihn beobachtete. Tobias streckte vorsichtig den Arm nach vorn, ließ den Zettel wie zufällig in meine Tasche fallen.

    Die Anschnallzeichen blinkten auf. Ich riss mir den Schal vom Gesicht und tat so, als wäre ich gerade aufgewacht. Auch dass Tobias versuchte, meinen Blick einzufangen, ignorierte ich.

    Nachdem der Flieger sanft aufgesetzt hatte, wollte Tobias mich in ein Gespräch verwickeln. Er sagte etwas Belangloses wie: »Berlin, endlich wieder zu Hause.« Dabei lächelte er mich an, so als hoffte er auf eine Bestätigung, die der Auftakt zu einem Plausch hätte werden können. Doch ich hatte beschlossen, ihn auf die Folter zu spannen, und lächelte nur zurück.

    In der Schlange drängten wir hintereinander zum Ausgang des Flugzeuges, ohne noch ein Wort miteinander zu wechseln. Tobias ging dicht vor mir her, sein Aftershave hatte eine herbe,
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