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Maenner und andere Fleischwaren

Maenner und andere Fleischwaren

Titel: Maenner und andere Fleischwaren
Autoren: Paula Fabian
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50 Gramm Fleischwurst
     
    Er steht vor mir und will 50 Gramm geschnittene Fleischwurst. So etwas ist fast schon eine Beleidigung.
    »50 Gramm?«, frage ich deshalb, um ihm die Möglichkeit zu geben, es sich noch einmal zu überlegen. Doch er nickt. Er meint es ernst, und der Kunde ist in der Metzgerei Paslewski König. Also nehme ich die Wurstgabel, steche in den Turm aus frischer Fleischwurst vor mir in der Theke und werfe drei Scheiben auf das Zellophanpapier in meiner linken Hand. Aus den Augenwinkeln beobachte ich den Käufer. Er sieht gut aus. Nein, er sieht sogar sehr gut aus: Etwa in meinem Alter – also so Anfang dreißig –, 1,90 Meter groß, gut gebaut und blonder Struwwelkopf. Und er lächelt. Lächelt sogar ganz hinreißend! Solche Kunden sind hier selten; 80 Prozent sind Hausfrauen und Rentner. Und dann heute plötzlich, kurz vor Ladenschluss, kommt dieser bezaubernde Jüngling herein und verlangt 50 Gramm geschnittene Fleischwurst. Wenn das mal nicht Schicksal ist!
    Ich lege das Zellophanpapier mit der Wurst auf die Waage.
    »Jetzt haben wir ein Problem«, stelle ich fest.
    »Wieso?«
    »Die Wurst wiegt 60 Gramm.«
    »Ich möchte aber nur 50«, betont der Blondschopf.
    »Ich weiß, aber was soll ich tun? Eine Scheibe wiegt 20 Gramm, deswegen sind zwei zu wenig und drei zu viel.« Ich kenne mich da aus, schließlich stehe ich nicht erst seit gestern hinter der Fleischtheke!
    »Dann müssen Sie eben noch eine dünnere Scheibe abschneiden«, gibt der junge Mann mir altkluge Ratschläge.
    »Geht nicht, die Aufschnittmaschine ist bereits gereinigt.« Wenn der glaubt, ich werfe für ihn jetzt noch einmal die Maschine an, um sie dann hinterher wieder zu putzen, ist der schief gewickelt. »Hm«, meint er, »das ist ein Problem.«
    »Das ist es«, gebe ich ihm recht.
    »Wie wäre es denn damit: Ich nehme zweieinhalb Scheiben!«
    »Und was mache ich dann mit der einen halben Scheibe? Die krieg ich ja so nicht mehr verkauft!« Was denkt der sich bloß? Als würde hier noch jemand eine halbe Fleischwurstscheibe haben wollen! »Sie können sie ja einem Kind zum Naschen geben, das macht man doch so in einer Metzgerei.«
    »Ach ja? Und dann heißt es hinterher, in der Fleischerei Paslewski sind die geizig, da gibt’s für die Kinder nur eine halbe Scheibe Fleischwurst! Kommt nicht in Frage!«
    »Na gut«, lenkt der junge Mann ein, »dann nehme ich eben 40 Gramm.«
    »Schon besser«, erwidere ich, lege eine Scheibe zurück in die Theke, packe die zwei Scheiben ein und drucke einen Bon aus. »69 Cent macht das dann.«
    Der Blondschopf legt 70 Cent auf die Theke. »Stimmt so und danke«, sagt er. Dann verlässt er den Laden. Ich sehe ihm nach, bis er um eine Ecke biegt. Komische Leute gibt es.
    Aber süß war er.
     
    ***
     
    Seit mittlerweile sechs Monaten arbeite ich als Verkäuferin in der Metzgerei Paslewski. Davor habe ich eigentlich nichts gemacht. Na ja, ich habe studiert. Aber wenn man mit 28 im 16. Semester Jura ist und noch immer fünf Klausuren und vier Hausarbeiten für die Zulassung zum Examen fehlen – dann kann man wohl sagen, dass man nichts gemacht hat.
    Ursprünglich war die Arbeit in der Metzgerei nur als Nebenjob gedacht, dreimal die Woche nachmittags von zwei bis sechs. Da die eigens von mir ins Leben gerufene Studenteninitiative »Bafög bis ins Rentenalter« trotz großangelegter Demonstrationen und wöchentlichen Kampfschriften an das Kultusministerium nie wirklich etwas erreicht hatte, musste ich mich seit dem 8. Semester ständig mit irgendwelchen Jobs über Wasser halten.
    Zuerst versuchte ich es mit Nachhilfe, aber nachdem kein einziger meiner sechs Schüler die Versetzung geschafft hatte, war ich wieder arbeitslos. Kellnern war mir körperlich zu anstrengend, Marktforschung zu langweilig und Putzen war auch noch nie mein Ding. Die Stelle als Aushilfssekretärin in einer Anwaltskanzlei wurde mir gekündigt, als ich die Idee hatte, für ein Referat, das ich in einem Seminar über Arbeitsrecht halten musste, meinen Kommilitonen den Fall eines unserer Mandanten auf äußerst anschauliche Art und Weise darzulegen. Unglücklicherweise – und so etwas passiert nur im wirklichen Leben – saß die Tochter unseres Mandanten ebenfalls im Seminar und erzählte ihrem Vater davon. He was not amused . Das Gleiche galt für meinen damaligen Chef.
    Die Arbeit in der Metzgerei hingegen machte mir vom ersten Tag an riesig viel Spaß. Ja, ich hatte sogar bald das Gefühl, meine Bestimmung gefunden zu
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