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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
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Hoffnung, nicht aufgerufen zu werden.
    Weil Torrance nur knapp viertausend Einwohner hatte – laut einem Schild am Ortseingang lag die offizielle Zahl bei 4160 -, gab es auch nur eine Highschool in der Stadt. Die meisten Leute lebten weiter draußen – in den »Vororten«, wie es die Einheimischen nannten, wenngleich Sandy die Bezeichnung »Sümpfe« weitaus zutreffender fand. Die Torrance High hatte fast vierhundert Schüler, und die Fluktuation innerhalb
des Lehrkörpers war beinahe so hoch wie die tägliche Fehlquote der Schüler, weshalb Sandy auch keine Schwierigkeiten gehabt hatte, eine Anstellung zu finden. Die Schule selbst bestand aus einem weiträumigen eingeschossigen Gebäude, das in einer nicht unhässlichen, wenngleich fantasielosen Mischung aus modernen und traditionellen Elementen aus Holz und Stein errichtet worden war. Ausgelegt war es für maximal dreihundert Schüler. Da aber viel mehr Jungen und Mädchen unterrichtet werden mussten, waren unlängst vier weitere Klassenräume in Containern auf der Rückseite des Parkplatzes eingerichtet worden. Weil sie die Neue war, hatte Sandy das letzte dieser Mini-Gefängnisse zugeteilt bekommen, um dort die Söhne und Töchter der rechtschaffenen Bürger von Torrance in Englischer Literatur und schriftlichem Ausdruck zu unterrichten. Darunter auch Kerri Franklins Tochter Delilah.
    Der Name Delilah war insofern unglücklich gewählt, als Kerri Franklins achtzehnjährige Tochter im Gegensatz zu der berüchtigten biblischen Sirene zwar durchaus hübsch, aber auch recht stämmig war. In nachsichtigeren Momenten dachte Sandy, dass Delilah vermutlich ihrem Vater ähnelte, Kerris erstem Mann, der aus dem Leben seiner Tochter verschwunden war, als das Kind zwei Jahre alt war. Wenn sie sich weniger großmütig fühlte, vermutete sie, dass Delilah ihrer Mutter bestimmt bis aufs Haar geähnelt hatte, bevor diese sich mit Hilfe der kosmetischen Chirurgie in eine Kleinstadt-Version von Pamela Anderson verwandelt hatte. Wenn Sandy richtig schlecht gelaunt war, stellte sie sich gern vor, wie Kerri Franklins zahlreiche plastische Verschönerungen gleichzeitig in sich zusammensackten – die winzige Knopfnase fiel ihr einfach aus dem Gesicht, Wangen- und Brustimplantate leckten, bevor sie implodierten, die vollen Lippen fielen in sich zusammen, die faltenfreie Stirn verschrumpelte, und die Unmengen von Botox in ihrem Körper setzten ihre bösartigen Gifte frei, sodass Kerris Haut sich verfärbte, abblätterte und schuppig wurde.

    Sandy seufzte lauter als beabsichtigt. Ihr verirrter Seufzer ließ Greg Watt aufhorchen, einen muskelbepackten Unruhestifter, den sie aus der letzten in die erste Reihe versetzt hatte, um zumindest einen Anschein von Kontrolle über die rastlose Horde zu wahren. Greg war groß und auf eine nichtssagende Art gutaussehend mit kurzen blonden Haaren und kleinen dunklen Augen. Er starrte sie an, als wollte er sich jeden Moment auf sie stürzen. Wenn er ein Tier wäre, wäre er ein Pitbull, dachte Sandy.
    Und sie wäre ein kleiner Spielzeugpudel, dem er jedes Bein einzeln ausreißen würde, dachte sie weiter, strich ihr lockiges, kinnlanges, braunes Haar hinter ihr rechtes Ohr und fühlte sich verwundbar, ohne recht zu wissen, warum.
    »Irgendwas nicht in Ordnung, Mrs. Crosbie?«, fragte er.
    »Alles bestens, Greg«, sagte sie.
    »Freut mich zu hören, Mrs. Crosbie.«
    Bildete sie sich das nur ein oder hatte er das Mrs. übertrieben betont? Es war ganz bestimmt kein Geheimnis in Torrance, dass ihr Mann sie nach fast zwanzig Jahren Ehe kürzlich verlassen hatte. Genauso wenig wie die Tatsache, für wen er sie verlassen hatte. Sandy hatte vielmehr rasch erfahren müssen, dass es in einer Kleinstadt wie Torrance nur wenige Geheimnisse gibt. Und es hatte nicht viel länger gedauert, bis sie begriffen hatte, dass trotzdem jeder eins zu haben schien.
    »Okay. Wer möchte seinen letzten Eintrag vorlesen?«, fragte Sandy und wappnete sich gegen das nachfolgende Schweigen. »Irgendwelche Freiwilligen?« Warum überrascht mich das bloß nicht, dachte sie, als sich keine begierige Hand reckte. Sie ließ ihren Blick über die vorderen Reihen schweifen und entschied sich für Victor Drummond auf dem vorletzten Platz in der zweiten Reihe. Der Junge war komplett schwarz gekleidet, sein gebräuntes Gesicht von einer Schicht weißem Puder bedeckt. Seine blassblauen Augen waren schwarz umrandet, sein natürlicher Schmollmund wurde von einem Marilyn-Manson-roten
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