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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
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    TOTENBUCH
    Das Mädchen wacht auf.
    S ie rührt sich, die mascaraverklebten Lider flattern verführerisch, bevor sie die großen blauen Augen aufschlägt, wieder schließt und erneut öffnet, länger diesmal, um beiläufig die unvertraute Umgebung zu registrieren. Dass sie an einem fremden Ort ist, ohne sich daran zu erinnern, wie sie hierhergekommen ist, wird ihr erst in einigen Sekunden dämmern. Dass ihr Leben in Gefahr ist, wird sie unvermittelt mit der Wucht einer riesigen Sturzwelle treffen und sie wieder auf die schmale Pritsche zurückwerfen, die ich vorausschauend bereitgestellt habe.
    D as ist das Beste, beinahe noch besser als alles, was später kommt.
    Ich war nie ein großer Fan von Blut und Eingeweiden. Diese neuen Fernsehserien, die jetzt so beliebt sind, mit Top-Pathologen in hautengen Hosen und Push-up-BHs, lassen mich mehr oder weniger kalt. All die Leichen bringen es einfach nicht – all die Pechvögel, die mit einer exotischen Vielfalt immer blutrünstigerer Methoden ins Jenseits befördert worden sind und die nun in ultramodernen Pathologiesälen auf kalten Stahlplatten liegen, um von behandschuhten Fingern leidenschaftslos geöffnet und begrapscht zu werden. Selbst wenn die Leichen nicht so offensichtlich künstlich wären, würden sie mich nicht anmachen – wobei die künstlichsten Gummileiber immer noch echter aussehen als die allgegenwärtigen Brustimplantate, die von den tapferen Push-up-BHs
im Zaum gehalten werden. Gewalt an sich war nie mein Ding. Ich fand den Spannungsaufbau vor der Tat immer interessanter als die Tat selbst.
    Genauso wie mir die nie ganz perfekte, natürliche Form echter Brüste immer lieber war als die künstlich aufgeblasenen – und absolut schrecklichen – Ungetüme, die heutzutage allseits so beliebt sind. Und das nicht nur im Fernsehen. Man sieht sie überall. Selbst hier an der Alligator Alley, mitten in Florida.
    Am Arsch der Welt.
    Ich glaube, es war Alfred Hitchcock, der den Unterschied zwischen Schock und Thrill definiert hat. Ein Schock war seiner Ansicht nach eine stoßartige Attacke auf alle Sinne, die kaum eine Sekunde dauert, während Thrill eher ein langsames Reizen ist. Ungefähr so wie der Unterschied zwischen einem ausgedehnten Vorspiel und einem verfrühten Samenerguss, möchte ich hinzufügen und stelle mir vor, dass der alte Alfred schmunzelnd zustimmen würde. Er hat den Thrill dem Schock immer vorgezogen, weil es aufregender und letztendlich befriedigender war. Da bin ich ganz seiner Meinung, obwohl ich wie Hitch auch einem gelegentlichen Schock nicht abgeneigt bin. Es soll schließlich spannend bleiben.
    Wie dieses Mädchen bald herausfinden wird.
    Sie sitzt jetzt aufrecht auf ihrer Pritsche, die Hände ängstlich zu Fäusten geballt, während sie ihre schwach beleuchtete Umgebung mustert. Der verwirrte Ausdruck in ihrem hübschen Gesicht – zum Sterben schön, wie mein Großvater immer sagte – verrät mir, dass sie sich anstrengt, ruhig zu bleiben, nachzudenken und zu begreifen, was geschehen ist, während sie sich weiter an die Hoffnung klammert, dass das Ganze vielleicht doch nur ein böser Traum ist. Denn eigentlich kann das alles doch nicht wahr sein. Sie kann nicht tatsächlich auf der Kante einer winzigen Pritsche in einem Raum sitzen, der aussieht wie ein Keller, wenn Häuser in Florida denn Keller hätten , was jedoch in der Regel nicht der Fall ist,
weil der Staat Florida fast ausschließlich auf Sumpfland gebaut ist.
    Gleich wird die Panik einsetzen. Sobald ihr klar wird, dass sie nicht träumt, dass ihre Lage vielmehr real und ziemlich verzweifelt ist, dass sie in einem verschlossenen Raum eingesperrt ist, dessen einzige Lichtquelle eine Lampe auf einem Sims weit jenseits ihrer Reichweite ist, selbst wenn es ihr gelänge, die Pritsche aufzurichten und hochzuklettern. Das hatte das letzte Mädchen versucht und war dabei auf den Lehmboden gestürzt. Dort saß sie, hielt ihr gebrochenes Handgelenk und weinte. Und dann fing sie an zu schreien.
    Das war ganz spaßig – eine Zeit lang.
    Gerade hat sie die Tür entdeckt, aber im Gegensatz zu dem letzten Mädchen geht sie nicht direkt darauf zu. Stattdessen sitzt sie einfach da, beißt sich auf die Unterlippe und blickt sich ängstlich um. Sie atmet laut und sichtbar, ihr pochendes Herz droht ihre Brust zu sprengen, ihre großen hängenden Brüste – die wenigstens echt sind – beben wie die einer hyperventilierenden Kandidatin bei Der Preis ist heiß . Soll sie sich für Tür
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