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Nur Der Tod Kann Dich Retten

Titel: Nur Der Tod Kann Dich Retten
Autoren: Joy Fielding
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einen Schlag auf den Kopf bekommen. Welchen Unterschied macht das? Entscheidend ist nicht, was vorher geschehen ist, sondern was als Nächstes geschieht. Ich spüre, wie sie zu dem Schluss kommt, dass es unwichtig ist, wie sie hierhergekommen ist. Wichtig ist, wie sie wieder herauskommt.
    Ich unterdrücke ein Lachen. Soll sie sich an die Illusion klammern, sie hätte eine Chance zu fliehen, so brüchig und unbegründet sie auch sein mag. Soll sie tapfer Pläne schmieden. Das ist schließlich auch Teil des Spaßes.
    Ich kriege Hunger. Sie wahrscheinlich auch, obwohl sie im Augenblick noch zu viel Angst hat, um es zu merken. In ein oder zwei Stunden wird es sie treffen. Der menschliche Appetit ist wirklich erstaunlich. Er ist ungeachtet der Umstände ziemlich hartnäckig. Ich kann mich noch an den Tod meines Onkels Al erinnern. Es ist schon lange her, und meine Erinnerung ist wie die des Mädchens ein wenig verschwommen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht einmal mehr genau, woran er gestorben ist. An Krebs oder einem Herzinfarkt. Ein ziemlich gewöhnlicher Tod, was immer es war. Wir standen uns nie besonders nahe, sodass ich nicht behaupten kann, schwer erschüttert gewesen zu sein. Aber ich erinnere mich, dass meine Tante geweint und geklagt hat, während ihre Freundinnen ihr Beileid und Trost bekundeten und erklärten, was für ein großartiger Mann mein Onkel gewesen sei, dessen Tod sie zutiefst bedauerten, um im nächsten Atemzug den wundervollen Kuchen zu loben, den meine Tante gebacken hatte. »Können wir das Rezept haben?«, fragten sie und ermahnten sie: »Du musst etwas essen. Es ist wichtig, bei Kräften zu bleiben. Al hätte das auch gewollt.« Und schon bald aß sie und lachte wenig später auch wieder. So viel zur Macht von Gebäck.
    Ich habe keinen Kuchen für das Mädchen, obwohl ich ihr
in ein paar Stunden vielleicht ein Sandwich mitbringe, nachdem ich selber gegessen habe. Ich weiß es noch nicht. Ein guter Gastgeber würde für seine Gäste sorgen. Andererseits hat niemand gesagt, dass ich ein guter Gastgeber bin. Keine fünf Sterne für mich.
    Trotzdem ist die Unterkunft alles in allem nicht übel. Ich habe das Mädchen nicht in einem Sarg unter der Erde vergraben oder es in ein von Schlangen und Ratten verpestetes Dreckloch geworfen. Sie ist nicht in irgendeinen Schrank gesperrt ohne Luft zum Atmen oder über einem Nest von Feuerameisen angekettet. Ihre Arme sind nicht hinter dem Rücken gefesselt, sie ist nicht geknebelt und kann sich frei im Raum bewegen. Wenn es ein bisschen wärmer ist, als ihr behagt, kann sie sich damit trösten, dass wir April und nicht Juli haben, es für die Jahreszeit eher ein wenig zu kühl und außerdem Abend und nicht heller Nachmittag ist. Hätte ich die Wahl, auch ich würde für eine Klimaanlage plädieren wie jeder halbwegs vernünftige Mensch, aber man muss nehmen, was man kriegen kann, und in diesem Fall war das ein verfallenes altes Haus am Rand eines seit langem brachliegenden Feldes an der Alligator Alley, mitten in Florida.
    Am Arsch der Welt.
    Manchmal kann es auch ein verkannter Segen sein, am Arsch der Welt festzusitzen, obwohl ich mindestens zwei Mädchen kenne, die widersprechen würden.
    Entdeckt habe ich das Haus vor fünf Jahren. Die Leute, die es gebaut haben, wohnten schon seit langem nicht mehr dort, und es war mehr oder weniger den Termiten und dem Verfall preisgegeben. Soweit ich weiß, hat nie jemand Anspruch auf das Grundstück erhoben oder vorgehabt, die Bruchbude abzureißen. Schließlich kostet es Geld, etwas abzureißen, und noch mehr Geld, etwas Neues an seiner Stelle zu errichten, und ich bezweifle ernsthaft, dass hier irgendetwas wächst, was den Anbau lohnt. Wozu also? Wie dem auch sei, ich bin eher zufällig darauf gestoßen, als ich eines Morgens herumgelaufen
bin, um einen klaren Kopf zu kriegen. Ich hatte zu Hause ein paar Probleme und das Gefühl, alles würde gleichzeitig auf mich einstürzen, deshalb hatte ich beschlossen, dass es das Beste wäre, mich für eine Weile einfach ganz aus der Schusslinie zu nehmen. So war ich schon immer – eher ein Einzelgänger. Auseinandersetzungen sind mir unangenehm, und ich mag es auch nicht besonders, über meine Gefühle zu reden. Nicht, dass sich irgendjemand je besonders für meine Gefühle interessiert hätte.
    Aber das ist der sprichwörtliche Schnee von gestern. Zwecklos, sich damit aufzuhalten und in der Vergangenheit zu leben. Lebe für den Tag – das ist mein Motto. Oder sterbe dafür.
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