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Novembermond

Novembermond

Titel: Novembermond
Autoren: L Heyden
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trag über das Budget halten.“ Sie schnaufte bekümmert. „So ein hübscher, junger Mann. Du wirst schon sehen“, setzte sie vertraulich hinzu. „Wie ein O b dachloser sieht er nicht aus.“
    Ich ging in das Zimmer, trat leise an sein Bett und betrachtete ihn. Paula hatte recht. Christian Har t mann war groß und blond, und ich schätzte sein Alter auf etwa neunzehn Jahre. Aber gruselig fand ich ihn nicht , im Gege n teil. Im Schlaf sah er ausgesprochen sanft und friedlich aus, und ich fragte mich, wer er war und wie er seinen Alltag verbrachte. Wie ein Student oder Azubi sah er mit seinem extravaganten Haar schnitt und den manikürten Händen nicht aus. Eher wie j e mand, der die Rollen Model, Liebhaber, Sohn oder Schwiegersohn perfekt erfül l te. Sein Gesicht war makellos schön, doch es war der Ausdruck von Verletzlic h keit, der mich berührte. Was ich sonst noch von seinem Körper sah , wirkte ebe n falls vollkommen und gesund. Ich erinnerte mich, dass auch bei den beiden and e ren Patienten am Anfang nichts darauf hinwies , wie dramatisch ihre Kran k heit verlaufen würde.
     
    Auf dem Parkplatz fuhr mir der Wind in den offenen Mantel und schickte frost i ge Kälte durch meinen Pulli. Was für ein Vorgeschmack auf den Winter. Der gab sich in Berlin kalt und nass und versteckte die Sonne wochenlang hinter dem bleiernen Grau des Himmels. Ich stieg in mein Auto und fuhr nach Hause. U n terwegs schob ich in Gedanken meine Termine für den nächsten Mo r gen hin und her. Wann konnte ich mit Christian Hartmann sprechen? Und übe r haupt – wann ging im November eigentlich die Sonne auf? Das musste ich noch im I n ter net herau ssuchen. Morgen würde ich sowieso eine Stunde früher in der Klinik sein.
    Ich fuhr durch die engen Straßen, bis ich endlich einen Parkplatz fand. Ich wohnte in Friedenau . Seit zwei Jahren hatte ich eine Wohnung im zweiten Stock eines stuckverzierten Altbaus , in der ich mich sehr woh l fühlte , auch wenn die erste Zeit nach meiner Trennung alles andere als einfach war . Ich zog die T ür hinter mir zu und drehte den Schlüssel zweimal um. Sofort umfing mich die ve r traute Stille wie ein guter Freund. Hier wollte niemand meine Auf mer k samkeit. Schwach hing der Geruch der Lilien in der Luft, die ich am Samstag auf dem Woche n markt am Breslauer Platz gekauft hatte . Mir fiel erst wieder ein, dass ich eigentlich noch zu Marcello wollte, als ich mir bereits Mantel und Schuhe aus gez o gen hatte .
    Gut gedacht, schlecht gemacht. Also doch keine Pizza. Im Kühlschrank fand ich noch Butter und Käse, aber der kleine Rest Brot, der seit Freitag auf dem Schneidebrett lag, war steinhart und vertrocknet. Ich prüfte die letzte Möglic h keit. Ganz unten im Gefrierfach lag noch eine Packung Bami Goreng. Ich schob das Fertiggericht in die Mikrowelle und meine Feinwäsche in die Wasch maschine, womit ich meine Haushaltspflichten für beendet erklärte. Nac h dies em langen Arbeitst ag freute ich mich auf einen ruhigen Abend . Ich öffnete eine Flasche Rotwein und nahm mir vor, es nur bei einem Glas zu belassen. Das dachte ich viel zu oft in letzter Zeit. Mit meinem Glas ging ich ins Wohnzimmer, setzte mich auf s Sofa und schloss für einen Moment die Augen. Sofort und gegen me i nen Willen stieg das Bild von Christian Hartmann vor mir auf. Seine blauen A u gen sahen mich Hilfe suchend an. Blaue Augen? Er schlief doch , als ich bei ihm war . Trotzdem verfolgte mich sein Blick, bis ich den Fernseher ei n schal tete. Ich nahm einen kräftigen Schluck Wein. Mi t leid hat noch niemandem geholfen. Ich musste endlich lernen, mich besser abz u grenzen.
    Meine Mikrowelle piepste, und während ich den Teller mit dem Essen auf den Knien balancierte, sah ich mir im Fernsehen eine Serie an. Ich liebe näm lich Fernsehserien.
    Und ich stehe dazu.
    Schließlich gibt es schlimmere Laster als Tagebuch einer Detektivin oder meine a b solute Lie b lingsserie Leidenschaft in Weiß . Wenn auch nicht viele, die peinlicher sind.
    In der Werbepause rief Franziska an. Wir kannte n uns seit dem Studium, aber i n zwischen wohnte sie in Freiburg , und weiter weg von Berlin war kaum noch möglich. „Ich muss mich leider für Donnerstag abmelden. Ich werde Leide n schaft in Weiß nur aufnehmen können.“
    Normalerweise telefonierten wir donnerstags nach jeder Folge, denn Franziska teilte meine Vorliebe für Leidenschaft in Weiß , wenn auch nicht für meine anderen Liebling s serien. Leider.
    „ Ich rufe dich am Freitag
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