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Der Mann, der wirklich liebte

Der Mann, der wirklich liebte

Titel: Der Mann, der wirklich liebte
Autoren: Hera Lind
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    Nebenan klingelte das Telefon, und kurz darauf öffnete sich die Bürotür einen Spalt weit.
    »Herr Röhrdanz, Ihre Frau auf Leitung drei!«
    Ein kalter Windzug streifte seinen Nacken.
    »Stellen Sie durch«, sagte Michael Röhrdanz zu der wasserstoffblonden Vorzimmerdame und scheuchte sie mit einer Handbewegung hinaus. Er saß gerade angespannt über eine komplizierte Kalkulation gebeugt, aber um mit seiner Angela sprechen zu können, würde Röhrdanz den Bau eines Weltimperiums unterbrechen. Er vermisste sie immer noch in der Firma. Vor seinem inneren Auge sah er wieder vor sich, wie sie damals als Auszubildende erstmals schüchtern an seine Türe geklopft hatte. Mit ihr war nie ein eiskalter Luftzug ins Zimmer gekommen - im Gegenteil: Es war ihm immer warm ums Herz geworden, wenn Angela erschienen war.
    Jetzt war sie seit acht Jahren seine Frau und die Mutter seiner zwei, ja bald drei Kinder! Er grinste unwillkürlich, als er daran dachte, wie er sie angestarrt hatte, während sie versuchte, mit den schweren Bowlingkugeln zu hantieren. Und wie er sich nachher zu ihr und ihrem Freund in das winzige Auto gequetscht hatte, um noch in eine andere Kneipe zu fahren. Wie er sie dem Grünschnabel ausgespannt hatte. Wie er bei ihren Eltern, die
nur wenige Jahre älter waren als er selbst, um ihre Hand angehalten hatte. Jetzt war sie längst keine schüchterne Person mehr!
    Ein erwartungsvolles Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er zum Hörer griff.
    »Hallo, Liebes! Wie geht es meiner schönen schwangeren Frau?!«
    »Nicht so toll«, kam es ziemlich bedrückt aus der Leitung. »Ich hab irgendwas am Arm.«
    »Am Arm? Ich dachte, schwanger ist man im Bauch?« Röhrdanz verzog den Mund zu einem spitzbübischen Lächeln, klemmte die Sprechmuschel zwischen Kinn und Schulter und spitzte in Erwartung eines netten Plausches seinen Bleistift. Kleine rotrandige Schnitzfetzen bildeten eine Schlange auf seiner Schreibtischplatte.
    »Ich kann ihn nicht mehr bewegen!«
    Michael Röhrdanz nahm einen Schluck von seinem abgestandenen Kaffee und verzog ratlos das Gesicht.
    »Michael, ich habe wirklich Angst!«
    Moment mal. Sie weinte doch nicht?
    Röhrdanz änderte sofort den Tonfall. Seine Stimme wurde ganz sanft.
    »Brauchst du nicht, Liebes. Welcher Arm ist es?« Röhrdanz pustete die Bleistiftfetzen vom Schreibtischrand.
    »Der linke! Ich kann ihn nicht hochheben! Er hängt an mir herunter, als gehörte er nicht zu mir!« Angela schluchzte. Sie hörte sich hilflos an. Wie ein verletzter kleiner Vogel, dachte Röhrdanz. Einer, der bis eben noch gesungen und gezwitschert hat und jetzt nicht mehr fliegen kann.

    Röhrdanz sah nervös auf die Uhr. Nein, unmöglich. Um diese Zeit konnte er nicht weg.
    »Hör zu, Liebes. Dann bringst du jetzt die Kinder zu deiner Mutter und gehst sofort zum Arzt!«
    »Zu was für einem Arzt soll ich denn gehen?«, wimmerte Angela.
    Immerhin hatte es nichts mit dem Baby zu tun, dachte Röhrdanz erleichtert.
    »Zum Orthopäden, würde ich sagen.« Nachdenklich drehte er sich in seinem Schreibtischstuhl einmal im Kreis, bis er den Hörer an das andere Ohr halten musste. »Da ist doch einer direkt an der Ecke zur Hauptstraße«, fiel ihm ein. »Über der Drogerie im ersten Stock.« Er tupfte mit der Fingerkuppe die letzten Bleistiftkrümel von seiner Kalkulation und pustete sie sauber. »Der Name steht auf dem Schild an der Hauswand. Heimer heißt der oder so ähnlich. Heimhuber, Heimann. Irgendwas mit Heim.«
    »Das fühlt sich total komisch an«, unterbrach Angela ihn aufgeregt. Im Hintergrund hörte Röhrdanz seinen einjährigen Sohn brabbeln, und Denise rief irgendwas dazwischen. »Ich kann Philip nicht mehr halten, mein Arm ist wie ein fremdes Anhängsel.«
    »Es ist bestimmt nichts Ernstes«, versuchte Röhrdanz die Sache abzutun. »Geh jetzt zum Arzt, und danach rufst du mich an.«
    Er führte erneut die Tasse zum Mund, als ihm einfiel, wie ekelhaft die abgestandene Brühe inzwischen schmeckte, und ließ sie zerstreut wieder sinken.
    »Schau, Liebes, dauernd schleppst du die Kinder in
den dritten Stock und wieder runter und klappst den Kinderwagen immer mit dem linken Arm zusammen. Der ist dir bestimmt nur eingeschlafen, der Arm!« Röhrdanz putzte sich die Brille. »Ich muss mich mehr um dich kümmern. Du darfst eigentlich sowieso keine schweren Sachen mehr schleppen. Liebes, du hast dich einfach übernommen! Sag deiner Mutter, dass sie dir von nun an mehr helfen muss. Fast fünf
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