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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20
Autoren: Olaf G. Hilscher
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werden. 
    Es
muss etwa zur Zeit des großen Hypes vor fünf Jahren gewesen sein, als ich im
Fernsehen  einen Bericht über einen SecondLife-Anwender verfolgte, der eine
gewisse Bekanntheit als Inworld DJ erlangt hatte. Einen Avatar hatte ich damals
schon. Genannt hatte ich nach meinem Blog Kueperpunk, den Nachnamen Korhonen
willkürlich ausgewählt, weil ich davon ausging „dass für die 5 Minuten eh
scheißegal ist, wie ich heiße“.  Ich benutzte meinen Zugang, um Bilder einer
Cyberpunk-Stadt in Secondlife aufzunehmen, die ich während einer Lesung per
Beamer gezeigt habe. Den Avatar hatte ich dann fast wieder vergessen, nur
gelegentlich über SecondLife gebloggt.  Doch die Fernsehsendung weckte mein
Interesse erneut.
    Mich
faszinierte weniger die Möglichkeit, in SecondLife einem Publikum aus
Pixelmännchen die eigenen MP3-Sammlung vorzududeln. Ich fand, dass das
Metaversum eine perfekte Plattform für Lesungen bieten würde. Natürlich. Die
Idee ist so nahe liegend ist, dass ich nicht der erste war, der sie hatte. Doch
nur wenige Autoren verirrten sich ins englischsprachige SecondLife – und fast
keine ins deutschsprachige.
    Über
die Jahre hat sich das etwas geändert.  Die amerikanische Science-Fiction-Szene
lehnt SecondLife nicht unbedingt ab, steht dem Metaversum eher neutral
gegenüber. Einige Idealisten schaffen es dort immer wieder, Prominenz für
Lesungen ins Metaversum zu locken. Kurt Vonnegut gab noch kurz vor seinem Tod
in SecondLife ein Interview, auch Autoren wie Cory Doctorow oder Charles Stross
zeigten sich in SecondLife oder Kollegen wie Michael Stackpole, der dort
wöchentlich Diskussionen veranstaltet. 
    In
SecondLife hat sich außerdem  eine sehr aktive und hochkreative virtuelle
Kunstszene entwickelt. Die Installationen des kanadischen Ölmalers und
SL-Künstlers Brynley Longman werden  in echten Museen und internationalen
Multimediafestivals ausgestellt. Von abflauendem Interesse an einem längst
überholten Trend kann da keine Rede sein.
    In
Deutschland ist die Situation etwas schwieriger, insbesondere im
Literaturbereich. Hier gibt man sich deutlich reservierter und zeigt gern die
kalte Schulter, wenn man zu einer Lesung im virtuellen Raum eingeladen wird.
Der eine oder andere glaubt, hochgezogene Brauen und müdes Lächeln seien für
Intellektuelle verpflichtend, wenn es um Präsenz im Cyberspace geht. Erstaunlich
oft auch bei Autoren, die sich genau mit diesen Themen befassen. Cyberpunks
scheinen bei uns oft den Cyberspace zu scheuen.
    Das
und gelegentliche spöttische Kommentare haben mich bisher nicht davon
abgehalten, immer wieder Einladungen zu Lesungen in SecondLife auszusprechen.
    Technisch
sind solche Veranstaltungen mittlerweile wesentlich einfacher  geworden.
Lesungen können über einen für wenige Tage mietbaren Streaming-Server ins
Metaversum – und gleichzeitig auch ins Internet – übertragen werden. Das
SecondLife- eigene Voice-System ist als Alternative  noch einfacher zu
handhaben. Seit wenigen Jahren  können sich Avatare einfach per Mikrofon
unterhalten. Für Lesungen bietet sich das an. Das Publikum kann ohne Umwege
direkt Fragen an den Schriftsteller richten. Ein Berliner Autor kann so für
seine Fans aus Flensburg, Köln, Mannheim oder Salzburg lesen oder für Zuhörer
an jedem beliebigen Ort auf dem Globus, und es ist sogar ein persönliches
Gespräch möglich.
    Damit
sind die Möglichkeiten aber längst nicht ausgeschöpft. Das Bühnenbild lässt
sich problemlos auf das gelesene Werk zuschneiden. Eine Metropole des 22.
Jahrhunderts für Cyberpunks, ein fremder Planet, ein Raumhafen für Space
Operas, eine neoviktorianische Stadt unter einem Himmel voller Luftschiffe für
Steampunk-Storys. Der Schritt vom gewöhnlichen Vortrag zur szenischen Lesung
ist ein kleiner, genauso gut kann gleich ein Theaterstück inszeniert oder ein
Hörbuch visuell  auf die Bühne gebracht werden. Interaktiven Erzählformen und
literarischen Experimenten steht nichts im Wege, man muss es nur ausprobieren.
    SecondLife
ist nicht die Matrix, SecondLife ist auch nicht das Metaversum aus Snow
Crash . Aber es ist eine Spielzeugversion eines Cyberspace, wie wir ihn uns
seit dreißig Jahren vorstellen. Als Produkt wird es wahrscheinlich sogar
irgendwann von der Bildfläche verschwinden. Aber es zeigt momentan sehr
deutlich, in welche Richtung das weiße Häschen hoppelt.
    Seit
2010 organisiere ich gemeinsam mit Kirsten Riehl von den Brennenden Buchstaben
in SecondLife
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