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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20
Autoren: Olaf G. Hilscher
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Entwicklung von dem,
was wir sind, zu dem, was wir sein werden, Reibung entsteht, dass es falsche
Ansätze gibt. Rauschen ist integraler Bestandteil von Veränderung. Entwicklung
ist von Natur aus chaotisch.
    Meine
Mutter ruft mich zum Frühstück und versucht, Konversation zu betreiben, während
ich meinen Toast mit Butter esse. Weil ich nicht antworte, meint sie, ich hätte
sie nicht gehört. Oder es sei mir egal. Aber das ist es nicht. Ich bin wie mein
Bruder, wenn er mit der Weite verbunden ist. Wie soll ich auswendig gelernte
Antworten auf bedeutungslose Fragen geben, wenn die Welt sich so schnell
verändert? Der Himmel rast draußen an den Fenstern vorbei. Ich spüre die
Bewegung der Kontinentalplatten unter meinen Füßen. Alles um mich herum wächst
oder zerfällt. Worte erscheinen mir da vergleichsweise platt und bedeutungslos.
    Mutter
und Vater haben es heute Morgen vermieden, über die Synapsenveredelung zu
sprechen. Ein deutliches Anzeichen dafür, dass sich ihre
Kommunikationsstrategien wieder einmal weiter entwickeln müssen. Sie waren
schon immer sehr angespannt, wenn sie über mich sprachen. Sätze, die heftige
Diskussionen auslösen, wurden aus dem Vokabular der Familie verbannt, und so
müssen meine Eltern ständig neue erfinden, um die Lücken zu füllen.
    Auch
ich verändere mich ein wenig. Verbindungen in meinem Gehirn entstehen,
überleben, verschwinden. Jede Entscheidung, die ich treffe, verändert die
Erbsubstanz meiner Seele. Ich glaube, dass meine Eltern genau das übersehen.
Ich bin nicht unbeweglich, ebenso wenig wie das große Fenster, durch das Licht
auf unseren Küchentisch fällt. Jeden Tag lerne ich mich an eine Welt
anzupassen, die mich nicht will.
    Ich
drücke meine Handflächen an die Scheibe und spüre die kalte Glätte auf der
Haut. Wenn ich die Augen schließe, kann ich beinahe die Bewegung der Moleküle
wahrnehmen. Wenn man lange genug wartet, wird die Scheibe ihre eigene Form
gefunden haben. Eine Form, die nicht von Menschen vorgegeben ist, sondern von
den Gesetzen des Universums und von ihrer eigenen Natur.
    Ich
merke, dass ich eine Entscheidung getroffen habe.
    Ich
will kein mittelmäßiges Leben führen. Ich will nicht sein wie die anderen, die
keine Ahnung von der Eile der Zeit haben und in hektischem Gerede gefangen
sind. Ich will etwas anderes, das ich nicht in Worte fassen kann.
    Ich
berühre den Arm meiner Mutter und klopfe an die Scheibe, um ihr zu erklären,
dass auch ich mich innerlich verändere. Sie versteht nicht, was ich ihr sagen
will. Wie üblich. Ich würde mich gerne deutlicher ausdrücken, aber ich weiß
nicht wie. Ich hole die Tanzschuhe aus der Papiertüte und lege sie auf die
Infomappe, die der Neurobiologe mitgebracht hatte.
    „Ich
will keine neuen Schuhe“, sage ich. „Ich will keine neuen Schuhe.“
     
     
    Originaltitel: „Movement“
    Copyright © 2012 by Nancy Fulda
    Copyright deutsche Übersetzung  ©
2012 by Tommi Brem
     
     
     

 

     
    I ch
habe den Eindruck, dass man mir seit ein oder zwei Jahren ein nicht
unerhebliches Maß an Wahnsinn nachsagt. Ja, in gewissen Kreisen gelte ich
anscheinend als Irrer, der sich in eine abstruse Idee verrannt hat.  Und ich
habe das Gefühl, dass mir ein oder zwei Kollegen eben deswegen die Freundschaft
aufgekündigt haben – was mich doch ziemlich schockiert hat. 
    Wieso
das so ist?  Nun, ich veranstalte Lesungen. Ganz besondere Lesungen.
    Aber
dazu muss ich etwas ausholen.
    1999
gründete ein Physiker namens Philip Rosedale die Firma Linden Labs. Mit
inspiriert durch Neal Stephensons Darstellung von Metaversen wollte Rosedale
eine vergleichbare Virtual-Reality-Umgebung erschaffen, die mit jedem Computer
online einfach zugänglich sein sollte. Daraus entstand über verschiedene
Zwischenstufen hinweg ein System, das noch heute oft fälschlich als 3D-Chat
bezeichnet wird. Tatsächlich ist es eine frei gestaltbare virtuelle Welt. Die
Bewohner  dieses Metaversums werden wie in dem Roman Snow Crash als
Avatare bezeichnet, ein Begriff, den Autor Stephenson für virtuelle Entitäten
genutzt und selber aus dem Sanskrit entliehen hatte. 
    SecondLife
erlebte seinen Launch im Jahr 2003, erreichte die deutschsprachigen Monitore
aufgrund erhöhter Anforderungen an die PC Hardware aber erst im Jahr 2007. Für
einige Monate wurde Linden Labs kleines Metaversum von den hiesigen Medien
gehypt, um ab Anfang 2008 zunächst zur Spielwiese pädophiler Sodomisten und nur
etwas später für tot erklärt zu
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