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Ob das wohl gutgeht...

Ob das wohl gutgeht...

Titel: Ob das wohl gutgeht...
Autoren: Robert Tibber
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    Gemessen an der Zeit, die ich als praktischer Arzt tätig war, schien ich einen ungewöhnlich großen Verschleiß an Partnern und Sprechstundenhilfen gehabt zu haben. Obwohl es gar nicht meine Absicht war, verlor ich sie stets irgendwie. Bei meinem Versuch, Ersatz für sie zu finden, entdeckte ich etwas, das die meisten Leute bereits wußten, mir aber bisher entgangen sein mußte: daß sich nämlich die Zeiten geändert hatten. Wo hatte ich nur meine Augen gehabt? Während ich auf einem Karussell von Masern, Mumps, Keuchhusten, Blinddarmentzündungen, Leistenbrüchen, Verbrennungen, Geschwüren, Babies, Warzen, Gerstenkörnern, Geschwülsten und Karzinomen saß - von solchen raren Leckerbissen wie Neurosyphilis oder der Hoshimotoschen Krankheit ganz zu schweigen -, hatte ich nicht bemerkt, daß der Zirkus heimlich, still und leise seine Zelte abgebrochen hatte und davongefahren war. Die Schlangen von Bewerbern jeder Rasse, Farbe, Konfession und jeden medizinischen Bildungsniveaus, die sich früher auf meine Inserate einzustellen pflegten, gab es längst nicht mehr. Auch waren die unzähligen, Übermenschliches leistenden Sprechstundenhilfen verschwunden, die sich darum drängten, sich eines Wartezimmers voller Patienten annehmen zu dürfen, die gleichzeitig ein unaufhörlich läutendes Telefon mit drei Leitungen bedienten, ununterbrochen auf Anfragen antworteten, in der Kartei nach den Krankengeschichten der Patienten suchten und sich mit Patienten abgaben, die ohnmächtig wurden oder sonst irgendwie hilfsbedürftig waren.
    Als ich die Praxis seinerzeit eröffnete, hatte ich — daran erinnere ich mich genau - einen ganzen Winter und einundzwanzig Untersuchungen nebst fünf Blöcken Notizpapier gebraucht, um überhaupt mit der Arbeit beginnen zu können. Nun stand ich längst fest auf beiden Füßen. Die »Partner- und Assistenten-Inseratenkolumne« des Ärzteblattes war noch immer sehr lang, aber nun hauptsächlich was die »Angebote« betraf. Es wurden dort goldene
    Berge versprochen, was sowohl die Arglist der Inserierenden als ihre Beherrschung der englischen Muttersprache bewies. Hundert Fischer angelten nach demselben Fisch, der so verrückt war, Arbeit bei einem praktischen Arzt annehmen zu wollen, nachdem er dem Trend zur Abwanderung widerstanden hatte oder einen unvorhergesehenen Fall von der Facharzt-Leiter getan hatte. Ich studierte die Inserate sorgfältig, ehe ich mich entschloß. Unglücklicherweise vermochte ich mit keinem köstlichen Köder nach der Beute zu angeln.
    Die starke Konkurrenz entmutigte mich. Ich konnte weder ein Röntgenlabor anbieten noch eine Entbindungsstation, ein Segelboot noch ein Forellenwasser. Wir hatten weder ein Gesundheitszentrum noch besondere Aufstiegsmöglichkeiten, freie Wohnung oder Arzthelferinnen. Ich praktiziere weder in einer Kreisstadt noch in einem Villenviertel, weder nahe der Küste noch im Westend. Ich konnte auch nicht — Hand aufs Herz! - beschwören, daß es sich nur um leichte Arbeit und keinesfalls um Nachtarbeit handelte. Ich konnte nicht einmal mit einem entsprechenden Gehalt winken und wußte, daß dem »Arzt mit eigener Ansicht« und den beiden »fortschrittlichen jungen Ärzten in Shakespeares Land« die besten Fische ins Netz gehen würden. Ich hatte nichts zu bieten als ein sicheres, gerade angemessenes Gehalt für harte Arbeit in einer Gegend, die man keinesfalls eine Vorstadt nennen konnte. Mein Herz sank, ich fragte mich, ob ich überhaupt eine Anzeige einrücken sollte, ich war bereit, den Kampf aufzugeben gegen die »geregelte Arbeitszeit, einschließlich Pflegeschwester, Arzneihersteller, Schreibhilfen und Gesundheitsdienst, ohne Abendpraxis und zentralgeheiztes Haus«. Ich war nahe daran, meinen Beruf an den Nagel zu hängen und Versicherungsagent zu werden, da ich meine Praxis nicht weiter ohne Hilfe aufrechterhalten konnte, als Sylvia wieder einmal die Situation rettete.
    »Das Haus«, sagte sie.
    »Was ist damit?«
    »Verkaufe es doch.«
    Ich sah sie mitleidig lächelnd an; jedenfalls hoffte ich, so auszusehen.
    »Was ist los?«
    Ob sie scherzte? Ich zog aus dem Bücherregal einen mindestens
    zehn Zentimeter dicken Aktenordner hervor, der Einzelheiten über fast alle Häuser enthielt, die innerhalb der vergangenen drei Jahre auf dem Immobilienmarkt angeboten worden waren. Gut zwei Drittel davon hatte Sylvia persönlich inspiziert, und mindestens ein Drittel hatte ich selbst angesehen, wenn auch oberflächlich und nur von außen. Nur
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