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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20
Autoren: Olaf G. Hilscher
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Ausgliederungsbezirk . Ein
ganzer Stadtteil, der zum Gefängnis umfunktioniert worden war. Die verfallenden
alten Arbeiterwohnblocks hatten sich bestens dafür geeignet. Einfach Mauern aus
Hartplastik drum, alles kräftig mit Stacheldraht absichern, und schon war das
Lager fertig. Interniert wurden dort alle, die gegen irgendwelche Bestimmungen
verstoßen hatten. Es sei denn, sie hatten einen sauberen deutschen Stammbaum
vorzuweisen – damit war man fast unantastbar und konnte sich so einiges
erlauben.
    Geist
hatte die Leute nur kurz gesehen. Und irgendwas an dem Sohn des Paares, das
jetzt in seinem Hinterzimmer hauste, hatte ihn an seine eigene Kindheit
erinnert. Sentimentaler Scheiß, aber damals, als er zwölf war, waren ihm
Neonazis und Faschisten eher wie eine Randerscheinung der Popkultur
vorgekommen. Nicht ernster zu nehmen als Fußball-Hooligans oder
U-Bahn-Schläger. Doch da hatte er sich gewaltig getäuscht, das wusste er jetzt.
Nachdem seine Eltern ebenfalls nach Barmbek gebracht worden waren, hatte er
sich in seine Arbeit gestürzt. Hatte Tage und Nächte vor den Bildschirmen
verbracht, und war schließlich zu einer Art Freiheitskämpfer geworden, ohne es
zu merken. Papiere, ID-Karten, Lebensmittelscheine – er konnte alles kopieren,
ändern und nachahmen. Schnell hatte sich sein kleines Programmierer-Büro auf
diese Weise zu einer ausgewachsenen Fälscherwerkstatt entwickelt.
    Er
tat all dies nicht, weil er so ein Menschenfreund war. Er verdiente damit sein
Geld. Die Bedürftigen selbst konnten meist nur mit Brot, einem Stück Käse oder
Schnaps bezahlen. Aber es gab genügend Mäzene, die sich ein reines Gewissen
erkaufen wollten, ohne selbst in Gefahr zu geraten. Sie spendeten Geld, das die
Arbeit von Untergrundorganisationen finanzierte, um Flüchtlingen zu helfen. Und
bezahlten somit auch Geists Arbeit. Schutz boten sie jedoch keinen, das war den
meisten zu heiß. Wenn Geist aufflog, war er allein. Immerhin hatte er Strolch,
der passte auf ihn auf. Doch wenn die Stapo kam – dann hieß es, Beine in die
Hand nehmen. Gefährlich war inzwischen auch Zechner, der Blockwart.
    Der
hatte ihn auf dem Kieker und ließ ihn das auch regelmäßig spüren. Und genau an
dem mussten sie jetzt vorbei.
    Unwillkürlich
strich sich Geist eine graue Haarsträhne aus den Augen. „Werden wir wieder
zurückkehren?“ Strolch runzelte die Stirn, und auch Geist selbst fiel die
Naivität seiner Frage auf. Wenn die Stapo kam, das versteckte Zimmer fand,
seine Arbeitsmaterialien, seine Computer ...
    „Natürlich
nicht. Pack deinen Kram. Zügig!“
    Geist
griff sich seine abgewetzte adidas-Tasche und stopfte Computerteile hinein, zu
guter Letzt auch noch ein paar Unterhemden, etwas Geld, zwei Taschenlampen und
einige kleine Rationspakete.
    Währenddessen
rückte Strolch das Bücherregal zur Seite und öffnete die tapezierte Tür, die in
den geheimen Raum führte. Abgestandene Luft drang heraus, dazu die aufgeregten
Stimmen der Flüchtlinge. Strolch sorgte dafür, dass sie ihre spärlichen
Habseligkeiten zusammensuchten und aus dem Raum herauskamen. Ängstliche
Gesichter. Verknitterte, abgetragene  Kleidung. Knapp erklärte er ihnen die
Situation.
    „Okay,
pass auf“, wandte er sich daraufhin wieder an Geist. „Ich  gehe raus und lenke
Zechner ab. Zur Not mache ich ihn fertig. Ihr geht hinten raus, durchs
Treppenhaus und über den Hof. Wir treffen uns an den Gleisen.“ 
    Geist
nickte nur. Natürlich hatte Strolch schon alles generalstabsmäßig durchgeplant.
Er war gut in so was. War früher mal Soldat gewesen, aber darüber sprach er
nicht gern. Seit seiner Entlassung war er in den Untergrund abgerutscht und
half den Menschen, die in Deutschland verfolgt wurden. Für die meisten konnte
er nicht mehr tun, als ihnen zur Flucht zu verhelfen – sie hatten hier keine
Hoffnung auf eine Zukunft mehr. Die Regierung von Republikpräsident Hellkamp
hatte das Grundgesetz so langsam und zielstrebig ausgehöhlt, dass Ausländer nur
noch das Weite suchen konnten. Und auch die meisten Deutschen waren sich kaum
bewusst, dass sie letztlich nur eine nutzlose Nummer auf irgendeinem virtuellen
Aktendeckel waren, deren Arbeitskraft und Lebensspanne sich Zwecken und Zielen
des Staates  unterzuordnen hatten. Viele Bürger hatten gar nicht so richtig
bemerkt, was passiert war. Einigen war es egal, andere wiederum konnten sich
plötzlich wieder für Politik begeistern. Oder das, was sie dafür hielten.
    Und
damit sind wir wieder bei
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