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NOVA Science Fiction Magazin 20

NOVA Science Fiction Magazin 20

Titel: NOVA Science Fiction Magazin 20
Autoren: Olaf G. Hilscher
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Zechner. Geist kannte ihn noch von früher, als er
selbst ein Kind gewesen war. Frührentner, der ständig vor sich hin schimpfte
über die schlimmen Zustände und grummelte, dass wir doch mal wieder einen
kleinen Führer bräuchten. Einen kleinen Führer. So einen lieben, der nur die
guten Sachen machte. Autobahnen. Ordnung. Arbeit und Essen für alle. Ja, dachte
Geist, aber wehe, deine Oma kam aus Polen, dann bist du ruckzuck von Barmbek
aus in eines der Arbeitslager gewandert. Schneller als du „Harzer Schwarzbrot“
sagen kannst. Auch für Zechner wurde die Luft dünn – wenn wirklich Zucht und
Ordnung um sich griffen, würde er auf die langen Abende in seiner Kneipe
verzichten müssen, dann würde auch er um sechs Uhr früh mit der Arbeit beginnen
müssen – die dann sicher nicht mehr nur aus Rumstehen und andere Leute
beobachten bestehen würde. Ob er sich darüber im Klaren war?

 

 
     
    Strolch
verschwand durch die Wohnungstür. Geist wartete die abgesprochenen fünf Minuten
zusammen mit den Flüchtlingen. Er versuchte, sie zu beruhigen, obwohl er selbst
eine Scheißangst hatte. Woher kamen sie eigentlich? Und warum genau wurden sie
noch mal verfolgt? Geist versuchte sich zu erinnern. Er hatte kaum mit ihnen
gesprochen, obwohl sie in seiner eigenen Wohnung lebten. Auf eine diffuse Art
fürchtete er sich vor ihnen. Sie sahen fremd aus, ja. Das Paar war
dunkelhaarig, der Mann breitschultrig mit unsteten braunen Augen, seine Frau
trug ihr langes Haar unter einem Kopftuch verborgen. Sie blickte immer zu
Boden. Ihr Sohn war vielleicht zehn, er hing am Arm seines Papas und schien ihm
überall hin zu folgen.
    Wahrscheinlich
war es einfach ihre Abstammung gewesen, die ihnen zum Verhängnis werden sollte.
Der kleine Diebstahl war ein willkommener Anlass für die Behörden gewesen.
Geist kannte dieses Gefühl. Er selbst hatte seine wirkliche Herkunft kunstvoll
verschleiert durch verschiedenste ID-Fälschungen, eine neue Geburtsurkunde und
diverse Informationen, die er im Weltnetz gestreut hatte.
    Weltnetz,
das war noch so ein Witz. Seit die Nazis an der Regierung waren, hatten sie das
Internet so umfassend zensiert, dass deutsche Webseiten weniger Reichweite
hatten als Radio Brocken.
    Nach
zwei Minuten ging Geist dazu über, auf seine Uhr zu starren. Sie hing an der
Wand gleich neben seinem alten ZX 81 aus Kindheitstagen. Das Gehäuse hatte ein
früherer Freund kunstvoll bearbeitet und in einen Bilderrahmen eingebaut. Der
Erfinder Sinclair war Engländer, eigentlich wäre das Teil also unerwünscht
gewesen. Wobei, seit die Thommies selbst mit Bereinigungsmaßnahmen begonnen
hatten, waren sie in Deutschland wieder wohlgelitten. Und wohl auch, weil man
wirtschaftlich nicht ohne sie auskam. Neben Norwegen waren sie der einzige
verbliebene Öllieferant. Schließlich war nicht daran zu denken, die Nordsee
wieder mit U-Booten zu beherrschen.
     
     
    Die
fünf Minuten waren um. Geist öffnete vorsichtig die Tür, spähte hinaus und
führte dann die kleine Gruppe durch das Treppenhaus zur Hintertür. Dort war
einmal ein Garten gewesen, man hatte ihn aber vor kurzem gepflastert und zum
Parkplatz umfunktioniert. Wozu, war ein Geheimnis der Stadtplanung, in Zeiten
der strengen Ölrationierung war selbst hier in der Hamburger Innenstadt nur
noch soviel auf den Straßen los wie am autofreien Sonntag auf Norderney.
    Geist
eilte über die offene Fläche. Die zahllosen Fenster der hohen, umliegenden
Gebäude wirkten wie hundert Kameras, die ihre Flucht verfolgten und
augenblicklich weitermeldeten.
    Von
Ferne hörte Geist laute Stimmen. Offenbar hatte Strolch den Blockwart
tatsächlich in einen Streit verwickelt, um für sie den Weg frei zu machen.
Geist scheuchte die Familie durch die Hofeinfahrt hinaus und über die Straße.
Sie huschten den Gehweg weiter.
    Begegneten
niemandem.
    Erreichten
die Bahngleise.
    Sie
krochen durch das struppige Gebüsch und den geschotterten Hang hinauf.
    Überquerten
die Gleise.
    Kauerten
sich in den Schatten eines unbenutzten Stellwerks. Ein Stück weiter stand ein
alter S-Bahn-Wagen, auf dem roten Lack waren unübersehbare Schilder mit der
Aufschrift Nur für Deutsche angebracht.
    Ein
Schuss peitschte durch die Stille. Die Flüchtlinge saßen da wie gelähmt, Furcht
sprach aus ihren Gesichtern. Der Junge klammerte sich ängstlich an den Arm
seines Vaters, der ihn ärgerlich abschüttelte. Geist zog seinen Rechner hervor,
sah sich nach einem Anschluss um. Er öffnete eine Feuerschutztür und
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