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Milo und die Meerhexe

Milo und die Meerhexe

Titel: Milo und die Meerhexe
Autoren: Patricia Schroeder
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Wo ist Letti?
    Die Geschichte, die ich euch heute erzählen möchte, ist so verrückt und wundersam, dass ich sie manchmal selber kaum glauben kann. Sie beginnt an einem herrlichen Frühsommermorgen. Der Himmel ist klar und blau und die sanften Wellen des Ozeans glitzern im Sonnenlicht. In der Ferne zeichnet sich der dunkle Streifen des Festlands ab, das viele Seemeilen von unserer Insel entfernt ist. Vom Meer weht eine sanfte Brise zu den Inselklippen herüber, in denen ich mich mit meiner Familie und meinen Freunden wie jeden Morgen von der Frühstücksjagd erhole. Hier ist das Wasser flach und warm. Ich habe meinen Kopf auf einen glatten Felsen gebettet und döse satt und zufrieden in der Sonne.

    Mein Name ist Milo.
    Ich bin ein Delfin.
    Meine Familie und meine Freunde
    lieben diese Insel.
     
    Ihre Klippen, die bis tief in den Ozean hineinreichen, bieten uns nicht nur Ruhe, sondern auch Schutz vor Haien und Schwertwalen.
    „Milo?“, höre ich meine Mutter rufen. „Milo?“
    Ich hebe den Kopf und blinzele zu ihr hinüber. „Ja, Mama, was ist los?“
    „Ist deine Schwester Letti in deiner Nähe?“, fragt sie besorgt.

    Letti ist zwei Jahre jünger als ich.
    Sie ist die Kleinste in unserer Familie
    und die Frechste.
    Letti hat ihren eigenen Kopf.
    Sie macht immer nur das, was sie will
    und hört weder auf Mama noch auf Papa.
     
    „Du hast das Kind viel zu sehr verwöhnt“, sagt mein Vater immer.
    Ich glaube das nicht. Meine Mutter hat Letti ganz bestimmt nicht anders behandelt als meinen Bruder Pino und mich. Und ich gehorche eigentlich sehr gut. Schließlich weiß ich, worauf es in einer Delfinschule ankommt. Schule nennt man die Gruppe, in der wir zusammenleben. Natürlich hängen wir nicht immer auf einem Haufen, denn wir können uns über viele Seemeilen hinweg miteinander verständigen. Letti ist die einzige, der das alles egal ist. Mal hängt sie Mama tagelang an der Flosse, mal fragt sie Papa stundenlang Löcher in den Bauch, oftmals jagt sie mit uns gemeinsam, aber meistens ist sie allein unterwegs.

    Das ist auch heute so.
    Wieder einmal ist Letti
    ihrer eigenen Wege gegangen …
    äh, geschwommen, natürlich!
     
    „Nein, Mama“, sage ich deshalb. „Letti ist nicht hier.“ Meine Mutter seufzt und verdreht die Augen.
    „Ausgerechnet heute!“, sagt sie und lässt sich aus der Klippenmulde ins offene Meer zurückgleiten.
    „Was meinst du damit?“, rufe ich ihr nach. „Was ist denn so Besonderes an diesem Tag?“
    Leider bekomme ich keine Antwort. Wahrscheinlich ist Mama schon zu weit entfernt oder zu sehr mit ihrer Sorge um meine kleine Schwester beschäftigt. Also versuche ich es bei meinem Vater, doch auch der gibt mir keine klare Auskunft. „Das ist ein Geheimnis, mein Junge“, sagt er. „Eines, an dem man besser nicht rühren sollte.“

    Mein Bruder Pino schlägt genervt mit seiner Schwanzflosse auf und ab und wirbelt dabei jede Menge Wasser auf.
    „Vielen Dank“, brumme ich. „Ich bin ein Delfin. Ich lebe im Wasser. Ich brauche keine Dusche.“
    „Entschuldigung“, erwidert Pino. „Ich wollte eigentlich Papa bespritzen, weil er so geheimnisvoll tut.“
    „Ich sag nur, wie es ist“, brummt mein Vater.
     
    „Das tust du eben nicht“,
    widerspreche ich.
    Pino zwinkert mir zu.
     
    Wenn man unseren Vater nur lange genug mit demselben Thema in den Ohren liegt, gibt er meistens irgendwann nach. Also mache ich munter weiter. „Wenn du uns nicht erzählst, was es mit diesem Geheimnis auf sich hat, verschwinde ich“, drohe ich. „Das ist Erpressung“, erwidert Papa. „Und wer ein weiser, alter Delfin ist, der lässt sich nicht erpressen.“ „Bist du denn weise?“, neckt Pino ihn. „Ich meine, dass du schon recht alt bist, wissen wir ja …“

    Diesmal ist es mein Vater, der seine Schwanzflosse auf die Meeresoberfläche patschen lässt.
     
    „Wo ist eigentlich eure Mutter?“,
    erkundigt Papa sich dann.
    Pino und ich schauen ihn erstaunt an.
    „Sie sucht Letti“, sage ich.
    „Letti?“ Mein Vater kraust seine Nase.
    „Wo ist sie denn hin?“
     
    „Tja, wenn wir das wüssten, müsste Mama sie nicht suchen“, brumme ich.
    Mein Vater nickt. Auf einmal sieht er sehr besorgt aus. – Was ziemlich ungewöhnlich ist. Denn normalerweise lässt Papa sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen. Nicht einmal von einem Schwertwal. „Ich hoffe ja nicht …“, murmelt er und einen Atemzug später ist er auch schon ins Meer abgetaucht. Pino und ich tauschen einen
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