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Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity

Titel: Neugier ist ein schneller Tod - Neugier ist ein schneller Tod - A Mortal Curiosity
Autoren: Ann Granger
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1. KAPITEL
    Elizabeth Martin
    Der Mann mir gegenüber im Erster-Klasse-Abteil trug einen glänzenden schwarzen Zylinderhut, der vom Deckel bis zum Rand mit einem glänzenden weißen Seidentuch drapiert war. Es bewegte sich anmutig fließend in der sanften Luftströmung und erweckte den Eindruck, die im Übrigen würdevolle Erscheinung des Fremden könnte von einem Augenblick zum anderen levitieren und über unsere Köpfe hinweg entlang der Gepäckablage schweben.
    Die Vorstellung brachte mich zum Lächeln, denn der Träger dieses Hutes war in jeglicher anderer Hinsicht eine ordentliche, ja peinlich korrekt gekleidete Gestalt. In seinem rotbraunen Schnurrbart und dem üppigen Backenbart, der sich entlang seiner Wangen nach unten zog und unter dem Kinn zu einem Gabelbart vereinigte, zeigten sich erste graue Streifen. Dennoch schätzte ich sein Alter auf nicht mehr als fünfundvierzig oder sechsundvierzig Jahre. Seine schlanke Gestalt steckte in einem schwarzen Frack, und sein Leinenhemd – was davon zu sehen war – stellte einen schneeweißen Kontrast dazu her. Seine Hände ruhten übereinander auf dem geschnitzten Elfenbeingriff eines langen Malakkaspazierstocks. Die Haltung zog die Aufmerksamkeit auf seine erstklassigen, mit Litze besetzten Glacéhandschuhe. Meine aufgebauschten Röcke hinderten mich daran, sein Schuhwerk zu betrachten, doch ich war sicher, dass es gleichermaßen makellos war. Was den Zylinderhut anging, so war er sicherlich ein kostspieliger Kauf gewesen. Umherfliegende Asche von den Dampflokomotiven, die in die Waterloo Station einfuhren oder sie wieder verließen, hätten ihn beschädigen können, und so hatte er ihn auf dem Bahnsteig wohlweislich mit dem weißen Seidenschal umhüllt und entweder vergessen, den Schutz zu entfernen, nachdem wir unterwegs waren, oder er fürchtete noch immer, dass ein Wirbel feindseliger Funken trotz der fest geschlossenen verglasten Fenster den Weg in unser Abteil finden könnte.
    Na, Lizzie! , schalt ich mich, als mir bewusst wurde, dass ich Gefahr lief, unhöflich zu erscheinen, weil ich ihn so kritisch anstarrte. Das reicht nun wirklich! Ich hoffte, dass es ihm nicht aufgefallen war, und richtete meinen Blick hastig durch das Fenster auf die Landschaft draußen, sofern man davon reden konnte. Wir schaukelten stetig aus der Endstation London and South Western Railway in Waterloo, und die Aussicht war eine eher wenig aufregende auf rußgeschwärzte, schmutzige Gebäude.
    In meinen Adern breitete sich ein Gefühl von bevorstehendem Abenteuer aus, gepaart mit einer ganz leichten Spur von Nervosität. Die Südküste Englands war mir so unbekannt wie London zu Anfang des Jahres, als ich mit meinem bescheidenen Gepäck aus dem Norden hierhergekommen war. Und nun war ich erneut unterwegs. Unangenehme und unvorhergesehene Ereignisse hatten meinen Aufenthalt in der Hauptstadt plötzlich beendet. Wie sich herausgestellt hatte, waren sie es auch gewesen, die mir die Tür zu neuen Möglichkeiten geöffnet hatten. Und doch hätte ich mich auch in das dunkelste Afrika begeben können, so wenig wusste ich über mein gegenwärtiges Reiseziel. Zumindest in meiner Phantasie erschien es kein Stück weniger exotisch.
    Wir ratterten durch Clapham und erreichten die Vororte. Die Häuser waren bereits kleiner und drängten sich in Reihen. Die sorgfältig gepflegten Gärten reichten bis an die Gleisböschung heran und boten Ausblicke auf bescheidene häusliche Verhältnisse. Wäsche flatterte auf Leinen, und Kinderspielzeug lag achtlos auf dem Rasen. Bäume und freie Flächen deuteten auf eine ländliche Gegend hin. Die überwältigende Gegenwart des hektischen London mit seinen verstopften Straßen, dem Staub, Qualm und niemals endenden Lärm blieb allmählich zurück.
    Ich verließ das alles nicht ohne Bedauern. Ganz besonders eine Person war es, die mir den Abschied schwer machte.
    »Dieser junge Mann, mit dem du dich triffst«, hatte mich Tante Parry eines Tages über dem reichhaltigen Mittagsmahl gefragt, das sie als Imbiss bezeichnete. »Beabsichtigt er, eine Heirat vorzuschlagen?«
    Normalerweise bin ich um eine Antwort nicht verlegen, doch diese Frage, ohne jede Vorwarnung gestellt, ließ mich ins Schwimmen geraten. Tante Parry sah mich nicht an. Ihre Augen waren auf ihren Teller gerichtet, und sie konzentrierte sich anscheinend auf eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen: Essen. Ich beobachtete, wie der Löffel ihren Mund erreichte und wie sich ihre schmollenden Lippen
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