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Die Elefanten Hannibals

Die Elefanten Hannibals

Titel: Die Elefanten Hannibals
Autoren: Alexander Nemirowski
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Der Löwe zeigt die Krallen
     
     
Die Söhne
     
    Die drei Knaben balgten sich auf dem Teppich wie junge Löwen. Sie griffen sich in die Strubbelköpfe, kreischten und schnauften. Hannibal warf sich auf Hasdrubal. Magon umklammerte Hannibals Hals und versuchte ihn wegzuzerren. Sie spielten Krieg. Hannibal war der Römer, und seine Brüder waren die Karthager. Die Streitkräfte hielten sich die Waage - Hannibal war neun, und seine Brüder waren, wenn man ihre Lebensjahre zusammenzählte, ebenso alt.
    „Ergebt euch!" schrie Hannibal mit funkelnden Augen. „Ergebt euch, ihr Hunde!"
    Aber die Kleinen dachten nicht daran. Magon kniff Hannibal in den Arm. Der holte aus, um dem bösen Feind eine Lehre zu erteilen. Diese Gelegenheit benutzte Hasdrubal, um ihm ein Bein zu stellen. 
    Hamilkar, ihr Vater, stand hinter dem Vorhang und beobachtete sie. Seine wulstigen Lippen zuckten, wie immer, wenn er erregt war. Vor vielen Jahren hatte er sich in demselben Zimmer, auf demselben Teppich mit seinen Brüdern gebalgt. Damals spielte er mit ihnen Karthager und Griechen. Doch später, als erwachsener Mann, führte er nicht gegen die Griechen, sondern gegen die Römer Krieg. Dreiundzwanzig Jahre dauerte dieser Krieg. Er nahm ihm seine Brüder und seinen Ruhm und endete mit einem demütigenden Frieden. Und während Karthago an den unerträglich hohen Tributen zahlte, mißbrauchten die Sklaven und Söldner seine Schwäche zu einer Meuterei. Auf diese Weise war Hamilkar gezwungen gewesen, gegen Männer zu Felde zu ziehen, die vorher unter seiner Führung in Sizilien gekämpft hatten. Er besiegte sie mit Hilfe der Elefanten und ließ sie kreuzigen, obgleich sie in der Vergangenheit seine tüchtigen Krieger gewesen waren. - Wo sollte er nun Ersatz für sie finden?
    Während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen, hatte sich der kleine Hannibal auf Hasdrubal geworfen und fuchtelte mit den Fäusten, um sich Magon vom Leibe zu halten. 
    „Rom hat gesiegt", johlte Hannibal.
    Hamilkar fuhr zusammen, und das Blut schoß ihm ins Gesicht. Bis in sein eigenes Haus verfolgten ihn diese Worte, die wie eine schlecht verheilte Wunde schmerzten, wie eine Ohrfeige brannten. Er stürzte zu den Kindern. „Haltet den Mund!" schrie er.
    Die Kinder sprangen erschrocken auf und blieben mit gesenktem Kopf vor dem Vater stehen. Seine Gegenwart schüchterte sie stets ein, weil sie ihn so selten zu Gesicht bekamen und gleichzeitig von ihrer Umgebung soviel über ihn hörten. Sein Name verband sich für sie mit den fremdartig klingenden Bezeichnungen von Städten und Ländern, in denen er Schlachten geschlagen hatte. Sie eiferten ihm in ihren Spielen doch nur nach. Trotzdem schalt er sie. Warum?
    Magon preßte die kleinen Fäuste an die Augen und brach in Tränen aus. Hasdrubal verzog schmollend den Mund. Hannibal blickte forschend und verständnislos zu seinem Vater auf.
    Dieser vorwurfsvolle Blick brachte Hamilkar zur Besinnung. Er war täglich darauf gefaßt, in jenes Land einzugehen, aus dem es keine Rückkehr gibt. Das war das Los eines Kriegers. Und immer, wenn ihn die Pfeile umschwirrten und neben ihm die Männer fielen, dachte er an seine Söhne. Er hoffte, daß sie nicht nur die wulstigen Lippen, das schwarze Haar und die gewölbte Stirn von ihm geerbt hatten, sondern auch seine Art zu denken. Oder war das nur Selbsttäuschung? Würden seine Söhne ein anderes Leben führen als er, mit einem anderen Ziel, mit anderen Wünschen? Wenn junge Löwen herangewachsen sind, zerstreuen sie sich in alle Welt. Gedenken sie dann noch ihres Löwenvaters, der ihnen einst die Beute in die Höhle brachte?
    Überraschend zärtlich drückte Hamilkar die erhitzten Kinder an sich. Ja, es waren seine Söhne, seine jungen Löwen. Im vergangenen Jahr hatten sie die Mutter verloren und im Jahr davor die große Schwester. Er selbst war selten daheim; sie kannten ihn kaum. Sie hatten keinen, der sie liebkoste, der ihre kindlichen Freuden und Kümmernisse teilte. Verlassene junge Löwen!
    „Hört auf zu flennen, ihr seid doch Krieger!" murmelte Hamilkar. „Hannibal, zieh dich an, ich will dir die Elefanten zeigen!"
     
    Elefanten in Karthago
     
    Karthago begrüßte die Elefanten. Alle Straßen vom Handelshafen, wo die Tiere von den Schiffen geholt wurden, bis hinauf zur Stadtburg Byrsa waren von einer lärmenden, festlich gestimmten Menge gefüllt. Das Schauspiel war offenbar keinem Karthager gleichgültig. Wer auf den Gehsteigen und Fahrdämmen keinen Platz gefunden
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