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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam
Autoren: Will Berthold
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seiner Untaten nicht bewußt war. Daß er vielleicht bei einem ordentlichen Gerichtsverfahren den Paragraphen 51 zugesprochen erhielte und dann in eine Heil- und Pflegeanstalt eingewiesen würde.
    Der Kriminalsekretär will seine Gedanken abschütteln, aber er kann es nicht. So paradox es klingt, er hat Mitleid mit Lüdke. Obwohl man nur einen Blick in die Akten zu werfen braucht, um ihn für alle Zeiten zu verdammen. Obwohl der ihm bevorstehende Tod viel barmherziger sein wird, als ihn seine zahlreichen Opfer erlitten haben.
    Darf man einen Mann ohne Gerichtsurteil hinrichten? Darf das der Staat? Natürlich nicht. Auch wenn das Gericht Bruno Lüdke zum Tod verurteilen würde – solange das Urteil nicht gesprochen und rechtskräftig ist, bleibt es Mord.
    Und ich bin Zeuge dieses Mordes, sagt sich S. Und ich muß ihn miterleben, und ich muß ihn hinterher schildern. Und ich muß Bruno Lüdke bei guter Laune halten, während der Arzt die tödliche Spritze ansetzt. Ich muß mit ihm sprechen, als ob nichts geschähe. Ich muß ihm in die Augen sehen dabei, und ich muß lächeln.
    S. steht auf.
    »Komm, Bruno«, sagt er, »wir sind noch nicht fertig heute. Wir müssen jetzt noch einmal in das Krankenzimmer gehen.«
    Im Krankenzimmer des Gefängnisses ist schon alles vorbereitet. Die Vorhänge sind zugezogen. Trotzdem ahnt man die an diesem Tag besonders kräftige Vorfrühlingssonne, die draußen scheint. Bruno Lüdke stutzt, als er den Raum betritt.
    »Was habt ihr denn jetzt wieder vor?« fragt er.
    »Es dauert nicht lange … Und dann sind wir wieder fertig und können endlich nach Berlin zurück.«
    »Dann will ick ja nischt sajen«, erwidert Lüdke.
    Der Gang, auf dem das Krankenzimmer liegt, ist für heute gesperrt. Zwei uniformierte Gefängniswärter bewachen ihn. Sie haben die Anweisung, nur namentlich genannte Ärzte durchzulassen. Die umliegenden Zimmer sind geräumt. So seltsam all diese Maßnahmen sind, niemand ahnt, was sich in dem verdunkelten Krankenzimmer zutragen wird.
    Die Ärzte haben sich verspätet. Versuchen sie, ein letztes Mal, dem Henkerdienst auszukommen? Telefonieren sie ein letztes Mal mit Berlin, um diesen entwürdigenden Auftrag loszuwerden? Ist ihr Gewissen stärker als die Furcht vor den Folgen einer Befehlsverweigerung?
    Es ist gespenstisch still in diesem Gebäude, das sonst nicht eben ruhig ist. Oder scheint es Kriminalsekretär S. nur so? Aber warum soll er Mitempfinden mit diesem Scheusal in Menschengestalt haben, das jetzt ebenfalls unruhig zu werden beginnt?
    »Da ist doch wat los Leute«, sagt Lüdke. »Da stimmt doch etwas nicht …«
    »Alles in Ordnung«, erwidert S. Seine Stimme klingt seltsam brüchig, als ob sie ihm nicht gehören würde. Er horcht in die Stille hinein.
    Endlich Schritte. Schritte von zwei Männern. Sie kommen näher. Die Tür öffnet sich.
    »Da sind Sie ja«, sagt einer der beiden Männer. »Wir werden es gleich haben.« Auch seine Stimme klingt unsicher. Er kramt umständlich aus einer Tasche seinen weißen Mantel hervor, wendet sich dann an Lüdke: »Machen Sie Ihren Oberarm frei.«
    Lüdke grinst verständnislos.
    »Du sollst Hemd und Jacke ausziehen, Bruno«, erläutert Kriminalsekretär S. geduldig.
    »Warum?« fragt Lüdke.
    »Frag nicht.«
    Er zieht sich aus. Der Arzt holt eine Spritze aus seiner Mappe, feilt eine Ampulle mit bräunlicher Flüssigkeit auf, füllt die Spritze.
    »Leg dich hin«, sagt S. zu Lüdke, »hier auf das Bett.«
    »Det ooch noch«, entgegnet Bruno.
    »Den linken Arm«, sagt der Arzt.
    Lüdke streckt ihn bereitwillig hin. Er hat ein erschrockenes Gesicht und beißt die Zähne aufeinander. Er fürchtet den Einstich der Spritze, von ihren Folgen weiß er natürlich nichts.
    Oder ahnt er in letzter Sekunde, daß er sterben muß? Sieht er die erstarrten Gesichter der Männer, die um ihn herumstehen? Spürt er die unheilvolle Stille? Sieht er diese Augen, die ihm ausweichen? Ahnt er vielleicht in letzter Sekunde, was ihm bevorsteht? Ziehen plötzlich noch einmal seine Opfer an ihm vorbei, hört er ihre schaurigen Schreie, begreift er jetzt, in letzter, in allerletzter Sekunde wenigstens, wie viel Leid, wie viel Ungeheuerlichkeit er in die Welt gebracht hat?
    Sein Gesicht ist verkrampft. Er schließt die Augen.
    Der Arzt setzt die Spritze an. Etwa zehn Kubikzentimeter, denkt S. Wahrscheinlich Zyankali. Vielleicht ist es etwas anderes. Niemand wird es je erfahren, was es ist.
    Zwanzig, dreißig Sekunden später lehnt sich Lüdke mit
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