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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam
Autoren: Will Berthold
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ausbleiben, vermeintliche Täter auch ohne Gerichtsurteil einem KZ überstellen. Allerdings weigern sich viele Beamte alter Schule, die neuen Methoden anzuwenden.
    Die Kripo ist zentralisiert, die Fahndung technisiert, mit einer Einschränkung: Die Öffentlichkeit darf nicht beunruhigt werden, und so liegen braune Propaganda und polizeiliche Notwendigkeit im Dauerstreit. Die Sicherheit des Bürgers vor dem Verbrechen hat in Großdeutschland – so tönt Dr. Goebbels – einen Stand erreicht wie nirgends sonst in der Welt -aber der Trottel von Köpenick überzieht das Land mit seinen blutigen Spuren, tötet mit primitiver Schläue, mordet immer wieder, immer wahnsinniger, fällt der Polizei auf, entkommt ihr, wird sterilisiert und doch erst 20 Jahre zu spät überführt.
    Die Affäre Bruno Lüdke ist der größte, aber durchaus nicht einzige Kriminalfall, der die heute noch wirksame Stammtischlegende von Hitlers sauberem Ordnungsstaat ad absurdum führt.
    Viermal im Jahr Viehmarkt, einmal Schwurgericht – das war die ganze Abwechslung in der idyllischen pommerschen Kleinstadt Reetz bei Arnswalde, die nach dem Zweiten Weltkrieg einen polnischen Namen bekam. Die Bürger, kleine Bauern oder Handwerker, lebten ruhig dahin, gingen zweimal wöchentlich in das Wirtshaus und einmal zur Kirche. Ihr Alltag kannte keine Sensationen.
    Aber heute, an diesem 24. Oktober 1930, gibt es eine ungewöhnliche, unheimliche Ausnahme.
    Schon zwei Stunden vor der Verhandlung ist das Gerichtsgebäude umlagert. Aus den umliegenden Städten mußte Polizeiverstärkung herangeholt werden. Es geht um ein menschlich abscheuliches, juristisch alltägliches Verbrechen. Es geht um Mord.
    Der Mann, der vor dem Schwurgericht abgeurteilt werden soll, ist klein und schmächtig. Er trägt einen blauen, schlechtsitzenden Anzug, der an den Knien und Ellenbogen ausgebeult ist. Die zwei wuchtigen Polizisten, zwischen denen er sitzt, lassen ihn noch mickriger wirken, als er ist. Seine Augen kommen vom Boden nicht hoch. Es ist schwer, ihn zum Sprechen zu bringen. Seine Worte sind hilflos und unsicher.
    Es geht um seinen Kopf – um den Kopf des 26jährigen Wagnergehilfen Fritz Bauer aus dem zwanzig Kilometer entfernten Dorf Grüneberg. Vor knapp vier Monaten war seine 32 Jahre alte Geliebte Else Ladwig tot in einem Wassergraben aufgefunden worden. Ermordet – unter grausamen Umständen. Sie erwartete ein Kind von ihm. Darin sieht der Staatsanwalt das Motiv der Tat, und Bauer ist für ihn der Mörder.
    »Sprechen Sie lauter«, sagt der Vorsitzende, »die Herren Geschworenen können Sie sonst nicht verstehen. Also, Sie geben zu, zu der Ermordeten intime Beziehungen unterhalten zu haben?«
    Der Angeklagte hebt langsam und verlegen den Kopf.
    »Ja und nein«, erwidert er leise.
    »Was heißt ja und nein?«
    »Ich habe mit der Else etwas gehabt. Aber das war doch schon lange vorbei.«
    »Wie lange?«
    »Ein paar Monate.«
    »Wie viele Monate?«
    »Ich glaube drei, Herr Vorsitzender.«
    Der Richter lehnt sich zurück. Die Silberkordel auf seinem Barett weist ihn als Landgerichtsdirektor aus. Seit acht Jahren leitet er jede Schwurgerichtsverhandlung in Reetz.
    »Wußten Sie, daß Ihre Geliebte ein Kind von Ihnen erwartet, Angeklagter?« fährt der Vorsitzende mit der Vernehmung fort, ohne die Stimme zu heben.
    Fritz Bauer schweigt. Ein paar Sekunden lang wirkt er noch geduckter, noch kleiner, noch hilfloser. Er kennt fast alle Leute im Saal. Er weiß, wie sie mit Vornamen heißen, wann ihre Kinder konfirmiert werden und welche Krankheiten sie hinter sich haben. Er wagt keinen seiner Bekannten anzusehen. Er spürt förmlich ihre verächtlichen und drohenden Blicke.
    »Ich habe Sie etwas gefragt«, betont der Vorsitzende.
    »Ich habe es gewußt«, entgegnet Bauer fast unhörbar.
    »Und Sie wollten sie nicht heiraten?«
    »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Wegen der Maria.«
    »Sie meinen die Zeugin Maria Wagner, nicht wahr, Angeklagter?«
    »Ja«, antwortet Bauer. Sein blasses Gesicht rötet sich. Er sucht nach Worten. Der Vorsitzende läßt ihm Zeit. Alles starrt ihn an. Es ist ein schwüler Tag. Doppelt schwül im Gerichtssaal. Dreifach schwül, wenn man unter Mordverdacht auf der Anklagebank sitzt.
    »Ich liebe sie doch, Herr Vorsitzender«, stößt der Angeklagte hervor. »Wir wollten heiraten. Maria erbt einen kleinen Hof. Wir hätten ihn sofort übernehmen können. Es war ja alles klar zwischen uns. Acht Tage nach der Zeit – nach der Sache sollte unsere
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