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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam
Autoren: Will Berthold
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Entfernung, auf dem Bahnkörper neben einer Weiche, steht ein Mann. Ein Mann, der dort nichts zu suchen hat, der starr, steif und regungslos in die Nacht starrt.
    Otto Weber geht auf ihn zu. Der Fremde hört ihn kommen und dreht sich nach ihm um.
    »Was haben Sie hier zu suchen?« fragt der Streckenwärter.
    »Das geht Sie doch nichts an«, entgegnet der Unbekannte.
    »Verlassen Sie sofort die Gleise!«
    »Einen Dreck tu' ich.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Das geht Sie auch nichts an.«
    »Dann kommen Sie mit!«
    Der Mann lacht.
    »Rutschen Sie mir den Buckel runter«, sagt er frech, »Sie Angeber.«
    Was soll Weber tun? Der Mann ist untersetzt und kräftig. Er trägt einen dunklen Anzug und eine Schirmmütze. Er hat ein breites, slawisches Gesicht, eine ausgeprägte Nase und seltsam starre, glanzlose Augen.
    »Seien Sie doch vernünftig«, lenkt der Streckenwärter ein. »Gehen Sie herunter vom Bahnkörper, dann ist alles in Ordnung.«
    »Na, von mir aus«, knurrt der Verdächtige und macht widerwillig ein paar Schritte.
    Otto Weber geht weiter. Er wird den Vorfall melden. Vielleicht hätte er doch den Mann mitnehmen sollen? Aber wie hätte er ihn dazu zwingen können, er, der Sechzigjährige, den jungen, kräftigen Burschen?
    Sicher alles ganz harmlos. Was soll er schon groß anstellen, denkt er sich. Vielleicht hat er Liebeskummer, oder er hat sich den Magen überladen, oder er hat getrunken. Das wird's wohl sein.
    Bei seiner Ablösestation schreibt er den Vorfall in das Dienstbuch ein. Zehn Zeilen. Dann geht er nach Hause. Er hat jetzt zwölf Stunden frei. Zehn davon wird er schlafen wie jeden Tag. Er hat sich längst daran gewöhnt, am Tag zu schlafen.
    Er isst und legt sich dann ins Bett. Aber nur sechs Stunden. Dann wird er geweckt. Von der Kriminalpolizei.
    »Ziehen Sie sich schnell an«, sagt ein Mann zu ihm. »Tut mir leid, Sie müssen mitkommen.«
    Vor dem Haus steht ein Wagen.
    »Was ist denn los?« fragt Weber.
    »Das werden Sie gleich selbst sehen«, entgegnet der Kriminalbeamte.
    Der Wagen fährt zum Bahndamm am Schwarzen Weg. Zwanzig Meter neben der Stelle, an der Streckenwärter Weber in der vergangenen Nacht den Zwischenfall mit dem Unbekannten hatte, stauen sich die Menschen, gaffen neugierig und sensationslüstern, bereit, sich ein Stück von dem Grauen abzuschneiden.
    Der Wagen hält. Weber und der Kriminalbeamte steigen aus, gehen auf die Menge zu.
    »Es wird nicht angenehm für Sie sein«, sagt der Beamte. »Hoffentlich haben Sie gute Nerven.«
    Weber nickt. Sie kämpfen sich durch die Ansammlung durch. Innerhalb der Absperrung liegt etwas unter einer Plane. Der Beamte hebt das Tuch.
    Ein paar Sekunden starrt Weber fassungslos die Tote an. Dann muß er den Blick abwenden.
    »Fürchterlich«, sagt er. Er geht ein paar Schritte weg. Der Chef der Meißener Mordkommission, Kriminalkommissar Danz, kommt auf ihn zu.
    »Sind Sie an dieser Stelle heute nacht dem Mann begegnet?«
    » Ja .«
    »Und die Tote haben Sie nicht gesehen?«
    »Nein.«
    »Das ist mir unbegreiflich«, überlegt der Kommissar.
    Einen Augenblick denkt Weber entsetzt: Und jetzt könnte ich danebenliegen, tot, wie hier das Mädchen, wenn ich den Mann fester angefaßt, wenn ich ihn mitgenommen hätte. Es schüttelt ihn.
    »Von der Tat haben Sie nichts gesehen?«
    »Nein«, antwortet der Streckenwärter, »das muß vorher oder nachher gewesen sein. Als ich hinkam, stand der Mann nur da und glotzte in die Nacht. Wenn er nicht am Bahnkörper gestanden hätte, wäre ich wahrscheinlich vorbeigegangen, ohne mich überhaupt um ihn zu kümmern.«
    »Schweinerei«, brummt der Kommissar vor sich hin. »Der Mann, dem Sie begegnet sind, war der Mörder«, fährt Danz fort, »das steht außer Frage. Können Sie ihn uns deutlich beschreiben?«
    »Ja, natürlich.«
    »Würden Sie ihn wiedererkennen?«
    »Selbstverständlich.«
    »Gut«, erwidert der Kommissar, »dann ist alles einfach. Diese Geschichte werden wir im Handumdrehen klären. Wir brauchen Sie ein paar Tage. Ich werde regeln, daß Sie vom Dienst freigestellt werden.«
    Der Steckenwärter nickt.
    Eine besondere Fahndung im Reichsgebiet hält die Meißener Polizei für überflüssig. Ein ganz einfacher Fall. Ein gewöhnlicher, wenn auch abscheulicher Lustmord, an einem Mädchen, einem Kind noch, verübt unter Umständen, die man der Öffentlichkeit nicht mitteilen kann.
    »Kommen Sie mit«, bittet Kommissar Danz.
    Sie fahren ins Präsidium. Man legt dem Schrankenwärter Dutzende von
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