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Nachts wenn der Teufel kam

Nachts wenn der Teufel kam

Titel: Nachts wenn der Teufel kam
Autoren: Will Berthold
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Kommissar. Das war so ziemlich alles.«
    »So ziemlich alles«, wiederholt der Kommissar. »Sie haben es noch ein paarmal probiert. Sie haben ihr zweimal aufgelauert. Sie wußten, wo sie wohnt, Sie wußten, daß sie den Schwarzen Weg entlanggehen würde, Sie wußten, wann die Probe aus ist, nicht?«
    Bei jedem Satz zuckt Hagedorn zusammen. Seine Augen werden klein und starr. Er springt auf, setzt sich aber im gleichen Augenblick wieder hin.
    »Verdammt noch mal«, stößt er hervor. »Haben Sie noch nie eine Frau küssen wollen? Ist Ihnen noch nie dabei eine geklebt worden? Flehen Sie zu Gott, daß Ihre Angebetete dann hinterher nicht ermordet wird und Sie dann nicht einem sturen Polizisten gegenübersitzen, der aus einer Mücke einen Elefanten macht.«
    Der Kommissar lächelt flüchtig. Immer gut, wenn die Leute reden. Er betrachtet den Schauspieler. Er sieht nicht gerade wie ein Mörder aus, denkt er sich. Aber wenn die Mörder wie Mörder aussähen, würden sie bald aussterben.
    »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?« fährt er mit der Vernehmung fort.
    »Ich habe Ihnen doch schon hundertmal gesagt, daß ich es nicht mehr genau weiß. Wenn ich geahnt hätte, daß sie ermordet wird, hätte ich es mir natürlich gemerkt«, entgegnet Hagedorn ironisch.
    Das Verhör ist auf dem toten Punkt angelangt. Genau betrachtet, ist Kriminalkommissar Danz am Ende seines Lateins. Der Mann vor ihm ist zu verdächtig, als daß man ihn gehen lassen könnte, und zu wenig verdächtig, als daß man ihn einsperren müßte.
    Und gerade in diesem Augenblick, in dieser kurzen Spanne der Unentschlossenheit, kommt die sensationelle Wendung. Ein Beamter tritt ein und flüstert dem Kommissar etwas ins Ohr. Der Kommissar nickt, lächelt, steht auf. Auf einmal wirkt er viel jünger und frischer. Auf einmal ist er die gute Laune selbst.
    »Na«, sagt er zu Hagedorn, »jetzt werden wir zwei einmal Fraktur miteinander reden, junger Freund. Sie Pennbruder. Geschlafen haben Sie also? Schön im Bett, nicht wahr, zu dieser Jahreszeit? Da jagt man keinen Hund hinaus. Kann ich Ihnen nachfühlen.«
    Hagedorn verfärbt sich. In wenigen Sekunden verfällt sein Gesicht. Fassungslos starrt er den Kommissar an. Aus, denkt er. Vorbei. Vorbei mit dem ›Prinzen von Homburg‹. Vorbei in dieser Saison, in dieser Stadt. Vielleicht überall, vorbei.
    »Na, sehen Sie«, fährt der Kommissar fort. »Denken Sie sich mal: Da draußen im Nebenzimmer sitzen zwei Leutchen, und die behaupten fest und steif, daß sie Sie am Mordtag, genau um dreiundzwanzig Uhr, genau in der Nähe des Bahndamms am Schwarzen Weg gesehen haben.« Der joviale Ton fällt jetzt von dem Kriminalkommissar ab. Barsch fährt er den Schauspieler an: »Und jetzt möchte ich genau wissen, was Sie dort zu suchen hatten.«
    »Mein Gott«, murmelt Horst Hagedorn. Er keucht. »Glauben Sie mir etwas«, sagt er leise, »ich bin unschuldig.«
    Das Haus ist grau wie die Straße – eine Straße in Bitterfeld. Industrieviertel. Im Hintergrund sind ein paar mächtige Schornsteine. Zwischen ihnen und dem Haus liegt eine große Autoreparaturwerkstätte. Hinter dem Haus steht ein Mörder und lauert auf sein Opfer.
    Er raucht. Gespenstisch leuchtet ab und zu die Glut seiner Zigarette auf. Der rauchende Mann hat Zeit. Er ist es gewohnt, das Warten in der Nacht.
    Er grinst vor sich hin. Er trägt einen dunkelblauen Anzug und eine Schirmmütze in gleicher Farbe. Es ist genau dieselbe Kleidung, die er bei seinem letzten Mord anhatte.
    Die Nachtvorstellung im benachbarten Kino ist beendet. In Gruppen strömen die Leute über die Straße, unterhalten sich aufgeregt über den Film. Der Mörder wirft seine Zigarette auf den Boden und tritt mit dem Schuh darauf.
    Dann drückt er sich noch enger an die Hausmauer. Niemand bemerkt ihn. Aber er sieht sie alle, die nur wenige Meter entfernt vorbeikommen. Er sieht die jungen, lachenden Mädchen, die ineinander eingehängt schnatternd nach Hause gehen. Er sieht die jungen Burschen, die sich ihre Zigaretten anzünden, er sieht die abgehärmten, müden Arbeiterfrauen, die sich mit zwei Stunden Unterhaltung von ihrem trostlosen Alltag loskauften.
    Er sieht sie, und er wartet.
    Wenn sie vorbei sind, wird sein Opfer kommen. Die Frau, auf die er wartet. Die junge, dunkelhaarige Frau von 32 Jahren, deren Namen er nicht kennt, die er sah, die er verfolgte. Die in der Nähe wohnt.
    Und die jetzt gleich vorbeikommen muß. Jetzt oder eine Stunde später. Auf jeden Fall wird sie vorbeikommen.
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