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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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PROLOG
    Es war sein Fund.
    Seine Entdeckung.
    Seine Erleuchtung.
    Zitternd nahmen die langen knochigen Finger den Glutscheit von der Feuerstelle und trugen ihn quer durch das Gewölbe, das keine Fenster besaß und nur eine einzige Tür, die von einem eisernen Riegel verschlossen wurde. Er selbst hatte den Riegel vorgelegt, denn niemand sollte ihn stören im Augenblick des Triumphs.
    So lange hatte er nach ihr gesucht, so viele Jahre, dass es ihm bisweilen wie ein ferner, unerreichbarer Traum erschienen war. Viele hatten ihn deswegen verlacht, hohe Gelehrte, Alchemisten, wie er selbst einer war, doch er hatte an seinem Traum festgehalten, ihn unnachgiebig weiterverfolgt.
    In zahllosen Bibliotheken hatte er nach Hinweisen gesucht, auf brüchigen Pergamenten und in alten Folianten, hatte tief in der Vergangenheit gewühlt, im Staub von Jahrhunderten, um dem Rätsel auf die Spur zu kommen – jenem Rätsel, das er nun endlich lüften würde. Sechzig Jahre seines Lebens und beinahe sein ganzes Vermögen hatte es ihn gekostet, sie zu finden und in seinen Händen zu halten. Nun jedoch war der Augenblick gekommen, da er ihr Geheimnis endlich lüften würde.
    Die Flamme, die er vor sich hertrug, warf flüchtiges Licht auf seine faltigen, an Backobst erinnernden Züge sowie auf die uralten, mit abstrusen Dingen vollgestopften Regale, die die Wände des Gewölbes säumten. In Leder geschlagene Bücher, deren Rücken mit fremdartigen Zeichen versehen waren, gehörten noch zu den gewöhnlichsten Stücken. Es gab auch unzählige Glasflaschen, die mit Flüssigkeiten aller Art gefüllt waren, dazu bizarr geformte Gefäße, in denen tote Käfer, Schlangen, Ratten und anderes Getier eingelegt waren. Und in einem anderen Regal befand sich eine Reihe von Schädeln, die offenbar von Tieren stammten und deren leere Augenhöhlen jede einzelne seiner Bewegungen genau zu verfolgen schienen.
    Das Alter machte dem Alchemisten zu schaffen, selbst in einem Augenblick wie diesem. Mit langsamen, schlurfenden Schritten näherte er sich dem steinernen Tisch, der das Zentrum des Gewölbes einnahm und dessen fleckige Oberfläche von den ungezählten Experimenten zeugte, von den Giften und Säuren, die darauf zubereitet worden waren und sich tief in den Stein gefressen hatten.
    In dieser Nacht jedoch hatte der Alchemist nur Augen für das Objekt, das in der Mitte des Tisches stand.
    Die laterna .
    Schon ihre ungewöhnliche Kugelform zog die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, noch ungleich mehr taten es jedoch die kreisförmigen Öffnungen, die die metallene, gelblich schimmernde Oberfläche überzogen und in die gewölbte Glasstücke eingesetzt waren. Lediglich am oberen Pol der Kugel war die Öffnung unverschlossen; durch sie griff der Alchemist ins Innere der Laterne. Mit zitternder Hand führte er den brennenden Scheit an den Docht, der weder von einer Kerze noch von Öl genährt wurde und dennoch sofort Feuer fing.
    Ruckartig zog der Alchemist seine Hand zurück, schüttelte den Scheit, damit die Flamme daran wieder erlosch, und warf ihn dann von sich – während er wie gebannt auf die Laterne starrte, die aus sich selbst heraus zu brennen schien. Gleichmäßiges Licht ging von ihr aus, ein gelber Schein, der die umliegenden Regale beleuchtete und dafür sorgte, dass der alte Mann triumphierend die Knochenfäuste ballte.
    Gebannt wartete er darauf, dass etwas geschehen würde. Etwas das von solcher Bedeutung war, dass es nicht nur ihn, sondern die ganze Welt verändern würde, die Gesetze der Natur, das ihm die Herrschaft über die Elemente eintragen und ihm dabei helfen würde, das Geheimnis der Schöpfung zu enträtseln …
    Doch die Veränderung blieb aus.
    Die Laterne leuchtete weiter nur still vor sich hin, ansonsten geschah nichts.
    Kein Geheimnis offenbarte sich.
    Kein Rätsel löste sich.
    »Non è possibile!« , rief der Alchemist in seiner Sprache, während er den steinernen Tisch umkreiste und weiter auf die Lampe starrte, die knochigen Schultern hochgezogen und den Kopf lauernd gesenkt, einem Aasfresser gleich.
    Sollte er sich geirrt haben? Sollte es die falsche Lampe sein, ein Irrtum wie all die anderen, die er entzündet und die sich als nutzlose Fälschungen erwiesen hatten?
    Nein, ein Irrtum war diesmal nicht möglich.
    Es war die richtige Laterne, diese und keine andere. Aber warum, in aller Welt, zeigte sich keine Reaktion? Was hatte er nur falsch gemacht?
    Seine Aufregung wuchs, seine dürren Hände begannen zu schwitzen,
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