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Spiel der Schatten (German Edition)

Spiel der Schatten (German Edition)

Titel: Spiel der Schatten (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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während er sie aufgeregt aneinanderrieb. Er hatte alles getan, was notwendig war, hatte sämtliche Vorbereitungen getroffen – und dennoch geschah nichts.
    »Perché?« , fragte er leise und raufte sich das wenige Haar, das noch übrig war und in dünnen weißen Strähnen von seinem Hinterkopf hing. »Perché …?«
    Verzweiflung wollte ihn packen, die Furcht davor, einmal mehr einen Misserfolg zu erleiden und sich womöglich eingestehen zu müssen, dass er sein ganzes Leben lang einem Traum nachgejagt, dass er sein Streben auf etwas gerichtet hatte, das es in Wirklichkeit gar nicht gab.
    Viele Jahre hatte er mit der Suche zugebracht, und der Alchemist spürte, wie die Last dieser Jahre an seinem alten, ausgemergelten Körper zerrte. Viel Zeit auf Erden blieb ihm nicht mehr, womöglich war dies die letzte Möglichkeit – und nun sollte sich der Gegenstand, um dessentwillen er nicht nur zum Verräter geworden war, sondern sogar gemordet hatte, als völlig nutzlos herausstellen, als ein weiteres Hirngespinst?
    Verzweifelte Wut schoss ihm in die Adern, und für einen Moment verspürte er den Drang, die Laterne einfach vom Tisch zu fegen und zu vernichten. Doch hätte er damit auch alles vernichtet, wofür er sechs Jahrzehnte gelebt und beinahe den gesamten Besitz seiner Familie verbraucht hatte!
    Mit Gewalt riss er sich vom Anblick der Laterne los, damit er sie nicht noch länger anschauen musste und womöglich noch etwas tat, das er später bereuen würde – als er sie plötzlich wahrnahm: die Schatten, die über die Wände des Kellergewölbes und über die mit Büchern und Gefäßen gefüllten Regale huschten.
    Zuerst glaubte er, dass es seine eigenen Umrisse waren, die er dort sah. Aber das war unmöglich, denn die Schatten waren nicht nur an einer Stelle der Wand zu sehen, sondern buchstäblich überall! Und sie bewegten sich, während er selbst wie angewurzelt stand und ihnen zusah!
    Verblüfft drehte sich der Alchemist im Kreis und bewunderte die wundersamen Silhouetten, die sich dort tummelten.
    Einen Läufer, der über unsichtbare Hindernisse sprang.
    Einen Bauern, der Ähren aus unsichtbarem Getreide schnitt.
    Einen Jäger mit Pfeil und Bogen.
    Einen riesigen Elefanten, vor dessen schierer Größe der Alchemist zurückschreckte, dazu ein Raubtier, das entfernt an eine Katze erinnerte und geschmeidig umherhuschte.
    Zwei Schwertkämpfer, die sich in einem erbitterten Duell befanden.
    Und eine Tänzerin, die sechs Arme und sechs Beine hatte und zu deren Füßen sich die Schatten züngelnder Schlangen wanden. Der Alchemist stieß einen Schrei aus und schlug bestürzt die Hände vor das faltige Gesicht, doch schon im nächsten Moment teilte sich die furchterregende Gestalt, und man konnte sehen, dass es sich in Wahrheit um drei Tänzerinnen handelte, deren Silhouetten für einen Augenblick zu einer verschmolzen waren. Umwirbelt von Schleiern, durch die der Laternenschein schimmerte, tanzten sie zu lautloser Musik und gesellten sich zu all den anderen Silhouetten, fügten sich ein in das wundersame Panorama, das den Alchemisten zu allen Seiten umgab und ihn völlig in seinen Bann schlug.
    Manch Wundersames hatte er von der Laterne erwartet, aber sicher nicht das! All diese Schatten bewegten sich, als ob sie von Leben, ja von einem eigenem Willen erfüllt wären. Wie war so etwas möglich? Wie konnte eine unscheinbare Lampe dies alles bewerkstelligen?
    Begierig darauf, ihr Geheimnis zu ergründen, wandte er sich wieder der Laterne zu – und sah, dass an ihrem unteren Rand, auf dem metallenen Kranz, auf dem die Kugel ruhte, Zeichen sichtbar wurden!
    Anfangs waren sie kaum zu sehen gewesen, doch nun, da sich das Metall erwärmte, traten sie deutlicher hervor, gewannen an Kontur und begannen schließlich zu leuchten.
    Verschlungene Zeichen waren es, Wörter einer uralten, längst vergessenen Sprache, wie der Alchemist sie noch nie zuvor gesehen hatte – doch noch während er darauf starrte, veränderten sie vor seinen Augen ihre Form, und plötzlich vermochte er sie zu entziffern. Murmelnd begann er, die Worte vorzulesen, eines nach dem anderen.
    Sie klangen ebenso fremdartig wie dunkel, hatten etwas Gemeines, Bedrohliches an sich, das dem Alchemisten nicht gefallen wollte. Dennoch schlich er auf leisen Sohlen um den Tisch herum, betrachtete die Lampe von allen Seiten und las die Zeichen vor.
    Dann wurde es still in dem Gewölbe.
    Die Stimme des Alchemisten verstummte, und einen endlos scheinenden Augenblick stand
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