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Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin

Titel: Nachtblau - Tagebuch einer Vampirin
Autoren: Kester Schlenz
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hineinwollte, sich beim zuständigen Arzt anmelden und zudem spezielle, sterile Kleidung anziehen musste.
    Ich wartete, bis eine ältere Frau und ein jüngerer Mann die Prozedur hinter sich gebracht hatten. Der Arzt, ein junger, hochgewachsener Typ, sprach beruhigend auf die beiden ein und erklärte ihnen, wie sie sich verhalten sollten.
    »Ihrem Vater wird es sicherlich bald bessergehen«, sagte er zu dem jungen Mann und nickte auch der Frau aufmunternd zu. Die beiden trugen grüne Kittel, Hauben und einen Mundschutz. »Fassen Sie drinnen bitte nichts an, und berühren Sie auch den Patienten nicht«, fuhr er fort. »Das letzte, was er jetzt nach dem Unfall gebrauchen kann, sind irgendwelche Keime, die ihm noch zusätzlich zu schaffen machen.«
    Dann öffnete er eine Tür, und ich sah hinein in die Intensivstation. Ein kahler, mit Instrumenten vollgestopfter Raum. Vier der insgesamt acht Betten waren belegt. Ich erkannte Michael sofort an seinen schwarzen Haaren. Er lag ganz außen. Sein Gesicht wurde von einem Beatmungsgerät verdeckt. Kanülen steckten in seinen Venen. Er bekam verschiedene Infusionen und war an mehrere Monitore zur Überwachung der Vitalfunktionen angeschlossen. Er tat mir unendlich leid.
    Der Arzt und die beiden Besucher standen auf der anderen Seite vor einem Bett und unterhielten sich leise. Die Frage war jetzt, wie ich unerkannt und ungehindert in Michaels Nähe kommen konnte. Schließlich war es unmöglich, einfach hineinzuspazieren und Michael in seinem Bett fortzuschieben.
    Plötzlich hörte ich Schritte auf dem Gang. Sie kamen genau auf meine Tür zu. Hastig drückte ich mich gegen die Wand. Dann ging die Tür auf, und grelles Licht raubte mir für ein paar Sekunden die Sicht. War ich entdeckt worden? Aber ich hörte nur Rumoren aus einer Ecke des Raumes. Schließlich, als meine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten, sah ich, da ss die geöffnete Tür mich fast vollständig verdeckte. Eine Krankenschwester suchte leise fluchend etwas in einem Regal. Sie trug einen der grünen Kittel, die offenbar in der Intensivstation obligatorisch waren. Genau die richtige Tarnung für mich. Ich war schon im Begriff, sie niederzuschlagen, als ich an einer Stange im hinteren Teil des Raumes mehrere dieser Kittel hängen sah. Ich ließ das Schicksal entscheiden. Entweder sie bemerkte mich beim Verlassen des Raumes. Dann würde sie mir ihre Arbeitskluft borgen müssen, oder sie hatte Glück und verschwand, so dass ich mich ungestört aus dem Fundus bedienen konnte.
    Das Schicksal machte sich in Form von Sirenen bemerkbar. Sie wurden lauter, und schließlich hörte ich draußen mehrere Wagen heranfahren. Eine Lautsprecherstimme bellte: »Verkehrsunfall angeliefert. Vier Schwerverletzte. Not-OP vorbereiten. Reanimationsteam zur Schleuse.«
    Die Schwester rannte sofort aus dem Zimmer, und auch der Arzt in der Intensivstation ließ die Besucher stehen und verließ eiligen Schrittes das Zimmer. Beide verschwanden im gegenüberliegenden Teil des Untergeschosses.
    Das war meine Chance. Hastig griff ich mir einen der grünen Kittel, zog ihn an und ging ohne zu zögern in die Intensivstation. Aus den Augenwinkeln sah ich, da ss im Nebengang der Teufel los war. Ärzte und Pflegepersonal rannten umher und bereiteten sich auf die Versorgung der Unfallopfer vor. In der Intensivstation befanden sich nun nur noch die Patienten und die beiden Besucher. Sie sahen mich mit großen Augen an.
    »Was ist denn passiert, Schwester?« fragte die ältere Frau.
    »Ich weiß auch nur, was durch den Lautsprecher kam«, antwortete ich und versuchte zu lächeln. »Aber ich muss Sie jetzt bitten, draußen zu warten, bis der Doktor wiederkommt«, fuhr ich fort und deutete auf die Tür. Sie gingen sofort hinaus.
    Viel Zeit blieb mir nicht. Eine Intensivstation war nie lange unbesetzt. Ich hastete zu Michaels Bett, blieb aber plötzlich unentschlossen davor stehen. Tat ich wirklich das Richtige? War Michael hier nicht in den besten Händen. Vorsichtig berührte ich seinen Körper – und erschrak. Meine übernatürlichen Sinne registrierten sofort, da ss er im Sterben lag. Sein Leben war nur noch ein versickerndes Rinnsal. Ich handelte, ohne über die Gefahren nachzudenken, zog Michael die Kanülen aus den Armen, nahm die Sauerstoffmaske ab, entfernte die technischen Messgeräte, entriegelte die Rollen des Bettes und schob es zur Tür. Michael rührte sich nicht. Aber eine flüchtige Berührung reichte mir, um zu fühlen, dass noch
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